Gorleben-Chronik
1991 - Mol-Skandal & Baustopp
Anlieferung von Mol-Container, PKA-Bauplatzbesetzung, erneuter "Castor-Alarm" und nächster Baustopp im Erkundungsbergwerk.
Im Januar wird ein Castortransport aus dem AKW Gundremmingen in Bayern in das Zwischenlager Gorleben abgesagt. Nach Kritik aus Niedersachsen zieht der AKW-Betreiber die Pläne zurück.
Am 1. Februar 1990 besetzten mehrere hundert AtomkraftgegnerInnen den Bauplatz der Pilot-Konditionierungsanlage (PKA) in Gorleben. Sechs Tage später räumten 2.000 Polizisten das errichtete Hüttendorf und der Bau der Atomanlage begann. Zum ersten Jahrestag der Räumung, am 6. Februar, besetzten 22 AtomkraftgegnerInnen erneut die PKA-Baustelle. Bei klirrender Kälte besteigen sie einen 35 Meter hohen Baukran.
Die Brennelementlager Gorleben GmbH weisst den erhobenen Vorwurf zurück, daß "von der PKA große Gefahren ausgehen":
"Im Genehmigungsverfahren sei nachgewiesen, daß beim Betrieb der Anlage keine Gefahr für Menschen und Umgebung bestehe. Auch übersähen die Gegner, 'daß die PKA eine wichtige Rolle im Umweltschutz einnimmt'. Die PKA sorgt laut BLG unter anderem dafür, daß ausgediente Brennelemente gefahrlos in einem Endlager beseitigt werden können."
Elbe Jeetzel Zeitung vom 21.02.1991
Der Baustopp im Schacht II des Erkundungsbergwerk Gorleben wird am 20. Februar vom Verwaltungsgericht Lüneburg aufgehoben. Seit einem erfolgreichen Widerspruch von fünf KlägerInnen mussten die Bauarbeiten seit dem 7. Oktober 1990 ruhen.
Bei einem Unfall im Erkundungsbergwerk Gorleben werden am 19. März zwei Arbeiter verletzt.
Baustopp in Schacht I
Zur Überprüfung eines Gutachtens zur Standsicherheit des Erkundungsschachtes Gorleben I verfügt die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn durch Bescheid vom 24. April einen Baustopp vom 13. Mai bis 25. Juli 1991.
April / Mai: Dritter "Castor-Alarm" im Wendland, nachdem das Oberverwaltungsgericht Lüneburg den Sofortvollzug nicht kippt.
Am 30. Mai findet eine Besprechung zwischen dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE) und der Firma IEAL Energie-Consult GmbH unter der Leitung von Prof. Dr. Bruno Thomauske statt. Bezüglich der Auffahrung der Strecken im Erkundungsbergwerk Gorleben wird festgestellt:
"Eine Erkundung nach Süd-Westen scheidet auf Basis nicht vorhandener Salzrechte aus. Die Rechte von Graf Bernstorff stellen hier einen Sperrriegel dar. Da dieser südwestliche Bereich des Salzstocks jedoch erkundet werden muss, schlägt ein verspäteter Erkundungsbeginn voll auf das Ende der untertägigen Erkundung durch. Für eine Erkundung nach Nord-Osten stellen die Rechte der Kirchengemeinden für die nördliche Erkundungsstrecke einen Sperrriegel dar. Ein Umfahren ist nach Ansicht der BGR nicht vertretbar."
Ein für Mai vorgesehener Castor-Transport aus dem hessischen AKW Biblis scheitert an der fehlenden Rücknahmegenehmigung für defekte Behälter.
Am 6. Juni erlässt das Bergamt Celle eine Untersagungsverfügung: Im Zeitraum vom 26. Juli 1991 bis 4. Mai 1994 darf kein Abraumsalz aus dem Bergwerk mehr auf die Salzhade hinter Schacht Gorleben II verbracht werden.
Anlieferung von Mol-Containern
Die Anlieferung von drei Containern mit schachaktivem Atommüll in das Zwischenlager Gorleben aus der belgischen Atomanlage Mol wird am 14. Juni vom niedersächsischen Umweltministerium gestoppt. Hintergrund ist der "Mol-Skandal", in Fässern war falsch deklarierter Inhalt gefunden worden. Bundesumweltminister Töpfer (CDU) weist am 16. Juni an, den Müll einzulagern. 200 Menschen und Trecker blockieren die Zufahrten zum Zwischenlager. Die drei Transport-LKW werden kurzfristig in der Polizeikaserne Lüchow untergestellt. Am 18. Juni werden die Blockaden von der Polizei "brutal" geräumt und die LKW auf das Gelände gebracht.
Das niedersächsische Umweltministerium bestätigt Mitte Juli, der "geforderte Nachweis der Standsicherheit des Schachtes" Gorleben 1 sei erbracht. Aus Sicht des Bergamtes Celle sei auch der Verbleib des bei weiteren Abteufarbeiten anfallenden Salzes aus dem Schacht geklärt - es soll ins 120km entfernte Atommüllendlager Morsleben in Sachsen-Anhalt gebracht werden. Bis 1994 fallen 47.000 Kubikmeter an.
Am 16. Juli weist das Verwaltungsgericht Lüneburg die Klagen gegen die Gorlebener Rahmenbetriebspläne ab.
Die bis zum 25. Juli gestoppten Arbeiten in Schacht I werden auch nach Ablauf der Frist nicht wieder aufgenommen, weil das Land Niedersachsen weiter die Zustimmung verweigert.
Am 25. Juli beantragt die Bundesrepublik die Zulassung eines Hauptbetriebsplans für das Erkundungsbergwerk für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1993.
Mit zahlreichen Blockaden vor den Toren und auf den Zufahrtswegen zur Baustelle der Pilot-Konditionierungsanlage versuchen AtomkraftgegnerInnen Anfang September vergeblich die zahlreich anrollenden Betonmischer zu stoppen.
Bei der Kommunalwahl am 6. Oktober verliert die CDU ihre absolute Mehrheit im Kreistag Lüchow-Dannenberg. Eine Absage an die Atomanlagen eint die Parteien der "bunten Koaliton" aus SPD, FDP, GRÜNE und UWG. In der Folge wird die "Gorleben-Kommission" aufgelöst.
Am 15. November bestätigt das Verwaltungsgericht Stade die Dringlichkeit der Salzstockuntersuchung in seiner schriftlichen Urteilsbegründung vom 16. Juli.
Die ganze Geschichte:
…und davor – Die Anfänge bis 1972
Die Anfänge: Erste Überlegungen, Atommüll in Salz zu lagern – statt ihn in der Tiefsee zu versenken. Gasexplosion im Salzstock Gorleben-Rambow.

1973 – Zwei AKW für das Wendland
1973 werden die Pläne bekannt, bei Langendorf an der Elbe ein Atomkraftwerk zu bauen. In der Debatte um einen Standort für ein Atommüll-Endlager bzw. die Errichtung eines Entsorgungszentrums spielt Gorleben 1973 offiziell keine Rolle.
1974 – Erste Standortsuche ohne Gorleben
Die Standortsuche für ein Atommülllager beginnt. Das Credo: So lange die Anlage genug Platz hatte und niemanden störte, war alles gut.

1975 – Großer Waldbrand bei Trebel
Im August 1975 bricht bei Trebel ein großer Waldbrand aus. Die Bundesregierung geht bei der Standortsuche für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) davon aus, dass mehrere Salzstöcke parallel untersucht werden müssten. Gorleben gehört nicht dazu.

1976 – Der Standort „Gorleben“ taucht auf
(…) In einer zweiten Version der TÜV-Studie wurde handschriftlich der Standort Gorleben ergänzt und als am besten geeignet befunden. (…)

1977 – Das Jahr der Standortbenennung
Nach der Benennung Gorlebens als Standort für ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ finden erste Großdemonstrationen statt.

1978 – Ein Koffer voll Geld
Innerhalb von 5 Tagen sammeln Gorleben-Gegner*innen 800.000 DM, um der DWK beim Kauf weiterer Grundstücke über dem Salzstock Gorleben zuvor zukommen.

1979 – Treck nach Hannover – WAA „nicht durchsetzbar“
Im März 1979 findet der legendäre „Treck nach Hannover“ statt. Nach einer Großdemonstration in der Landeshauptstadt verkündet der Ministerpräsident das Aus für die WAA-Pläne in Gorleben.

1980 – „Republik Freies Wendland“
Platzbesetzung der Bohrstelle Gorleben 1004 und Gründung der „Republik Freies Wendland“. Die Räumung nach vier Wochen wird zum größten Polizeieinsatz in der Geschichte der BRD.

1981 – Die Zweifel in Gorleben werden größer, nicht kleiner
Gorleben-Hearing in Lüchow zum Bau des Zwischenlagers und massiver Protest gegen das AKW Brokdorf. Nach Bohrungen werden die Zweifel an der Eignung des Salzstock Gorleben für ein Endlager „größer, nicht kleiner“. Doch Gegner*innen des Projekts seien „Schreihälse, die bald der Geschichte angehören“, meinen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Oppositionsführer Helmut Kohl.

1982 – „Tanz auf dem Vulkan“
Der Zwischenlagerbau beginnt, Tanz auf dem Vulkan und plötzlich ist das Wendland mit Dragahn wieder als ein WAA-Standort im Gespräch.

1983 – Dragahn: Eine WAA wird verhindert
Proteste gegen die Pläne, in Dragahn eine WAA zu errichten. „Gorleben statt Kreta“ und Demos im Grenzgebiet zwischen der DDR und BRD. Das Bundeskabinett unter Helmut Kohl stimmt der „untertägigen Erkundung“ des Salzstocks Gorleben zu.

1984 – Menschenkette und Tag X
„Das Vertrauen hat sehr gelitten“: Menschenkette und Wendland-Blockade gegen die WAA-Pläne. Unter erheblichem Protest erreicht ein erster Atommülltransport das Fasslager Gorleben.
1985 – „Spudok“-Affäre und Kreuzweg
Der erste Kreuzweg führt vom AKW Krümmel nach Gorleben. Nach Anschlägen auf die Bahn werden die Daten von tausenden Gorleben-Gegner*innen von der Polizei gespeichert – und damit eine ganze Szene pauschal kriminalisiert.
1986 – Tschernobyl
Heftige Auseinandersetzungen um den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und die Inbetriebnahme des AKW Brokdorf. Nach dem GAU von Tschernobyl protestieren zehntausende Menschen gegen die Atomenergie.
1987 – 10 Jahre Gorleben
„Transnuklearskandal“ betrifft auch Atommüll im Zwischenlager Gorleben. Schwerer Unfall in Schacht 1.
1988 – „Wir stellen uns quer!“
Kreuzweg der Schöpfung führt von Wackersdorf nach Gorleben, Schmiergeldskandal, „Wir stellen uns quer“ – Proteste gegen den ersten Probecastor ins Zwischenlager.
1989 – Castor-Alarm im Wendland
Das Aus für die WAA Wackersdorf, Castor-Alarm: erster Atommülltransport nach Gorleben wird wenige Stunden vor Abfahrt gerichtlich gestoppt.
1990 – PKA-Bauplatz- und Turmbesetzung
„Ein Hauch der Freien Republik Wendland wehte durch den Gorlebener Tann…“, als auf dem Bauplatz der PKA Hütten errichtet werden. Aktivist*innen besetzen im Sommer den Förderturm in Gorleben, zum Jahresende Baustopp und SPD-Versprechen.
1991 – Mol-Skandal & Baustopp
Anlieferung von Mol-Container, PKA-Bauplatzbesetzung, erneuter „Castor-Alarm“ und nächster Baustopp im Erkundungsbergwerk.
1992 – Viel Geld für den Landkreis
Resolution gegen und eine Mehrzweckhalle für Gorleben, Erweiterung des Zwischenlagers und viel Geld für den Landkreis.
1993 – CASTOR-HALLE-LUJA und Endlagerhearing
Sitzblockaden gegen Atommüll-Lieferungen, „Wege aus der Gorleben-Salzstock-Sackgasse“, Energiekonsens-Gespräche und hohes Bussgeld gegen Turmbesetzer*innen.
1994 – Pleiten, Pech und Pannen: „Castornix“
Widerstandscamp „Castornix“ und erhebliche Proteste gegen ersten Castortransport, der wegen technischer Mängel dann abgesagt wird. Weiterbau der PKA per Weisung.

1995 – Tag X, Backpulver & Stay rude-stay rebel
Anschläge auf Bahn & Kran, die Aktion „ausrangiert“ will den ersten Castor empfangen, Bundesumweltministerin Merkel macht den absurden Backpulver-Vergleich & der Baustopp im Bergwerk wird aufgehoben.
1996 – „Wir stellen uns quer!“
10 Jahre nach Tschernobyl, „Wir stellen uns quer!“ gegen den zweiten Castor nach Gorleben.

1997 – Stunkparade gegen Sixpack
Gewaltsame Räumung für den dritten Castor, Griefahn knickt ein & mehr Geld von der BLG.
1998 – Castor-Skandal und TagX4 in Ahaus
Einwendungen gegen die PKA, Castortransport nach Ahaus, Transportestopp nach verstrahlten Behältern, Einstieg in den Atomausstieg und Moratorium im Salzstock.
1999 – „Gerhard, wir kommen“ & X-tausendmal quer
„Flickschusterei“ um Atomausstieg & AkEnd, Stunkparade nach Berlin und die Ankündigung, dass sich beim nächsten Castor X-tausend Menschen querstellen werden.

2000 – Atomkonsens & Moratorium
Defekte Brücke und unsichere Behälter verhindern Castorlieferung, Atomkonsens „alles Lüge“, denn er sichert den Weiterbetrieb der AKW und Moratorium im Salzstock.

2001 – X-tausendmal quer & Widersetzen
Zwei Atommülltransporte rollen nach Gorleben, einer im März, ein zweiter im November. X-tausend Menschen stellen sich quer und WiderSetzen sich. Der Betonblock von Süschendorf zwingt den Castor zum Rückwärtsgang. Der Widerstand bekommt ein Archiv, die Bundestagsabgeordneten ein Denkmal, die „Gewissensruhe“.