Widerstandscamp "Castornix" und erhebliche Proteste gegen ersten Castortransport, der wegen technischer Mängel dann abgesagt wird. Weiterbau der PKA per Weisung.
Anfang
Nachdem im Vorjahr wegen fehlerhaften Schweißverfahren beim Aufbringen eines Ersatzdeckels bei Undichtigkeit kein Castorbehälter nach Gorleben rollen konnte, soll 1994 der erste Castor kommen. Lieferant soll das Atomkraftwerk Philippsburg in Baden-Württemberg sein. Im Protest gegen die Nuklearlieferung erlebt die Anti-Atom-Bewegung ein Comeback.
Januar
13.01.1994
Am 13. Januar wird im Endlager Morsleben der im Februar 1991 unterbrochene Einlagerungsbetrieb wieder aufgenommen.
30.01.1994
Trotz der Tatsache, dass die Herkunft der Laugenzuflüsse in Schacht 1 des Endlagerbergwerks Gorleben unbekannt sind, bekräftigt die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern (DBE) am 30. Januar den Weiterbau.
Februar
03.02.1994
Am 3. Februar wird bekannt, dass Tritium in der Schachtanlage Gorleben gefunden wurde. Dieser radioaktive Betastrahler mit einer Halbwertszeit von 12,32 Jahren stammt entweder von der Oberfläche oder von künstlichen Tritiuminjektionen bei der Salzstockerkundung.
04.02.1994
Am 4. Februar wird bekannt, dass beim Bau der Pilotkonditionierungsanlage Gorleben (PKA) Änderungen ohne dafür notwendige Genehmigungen durchgeführt wurden. In nachweislich 25 Fällen war die Gesellschaft für Nuklearservice mbH (GNS) von den Bauunterlagen abgewichen. Die GNS zieht personelle Konsequenzen und tauscht drei für den Bau verantwortliche Mitarbeiter*innen aus. Das niedersächsische Umweltministerium (NMU) verweigert die Erteilung der 2. Teilerrichtungsgenehmigung (TEG).
21.02.1994
Auf der Anhörung zu dem von Niedersachsens Umweltministerin Griefahn im September 1993 verhängten Baustopp in Gorleben vor dem Veraltungsgericht Lüneburg wird am 21. Februar bezweifelt, "ob Gorleben als Endlager noch politisch erwünscht" ist. Eine Entscheidung wird für den am 07. März angekündigt.
März
07.03.1994
Am 7. März entscheidet das Verwaltungsgericht Lüneburg zugunsten der Klägerinnen Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und Gesellschaft für den Betrieb und Bau von Endlagern (DBE) für den Weiterbau im Erkundungsbergwerk Gorleben und hebt damit den am 9. September 1993 verhängten Baustopp auf.
Der Verlangensbescheid des Oberbergamts aus dem Jahr 1992 auf Vorlage eines Rahmenbetriebsplans mit Umweltverträglichkeitsprüfung ist vom Verwaltungsgericht für rechtswidirg erklärt worden. Die Bergbehörden werden verpflichtet, dem Antrag des BfS aus Verlängerung der Rahmenbetriebsplans von 1983 stattzugeben.
24.03.1994
Am 24. März wird der Innenausbau des Schachtes 2 des Erkundungsbergwerks Gorleben fertiggestellt.
April
03.04.1994
Als Reaktion auf den Weiterbau im Endlagerbergwerk begräbt die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg am 3. April, Ostersonntag, die Wahlversprechen der rot-grünen niedersächsischen Regierung vor dem Endlagergelände.
07.04.1994
Anlässlich ihres 70. Geburtstages wird Marianne Fritzen am 7. April in den Trebeler Bauernstuben in einer Inszenierung vor Gericht gestellt und verurteilt, "den Widerstand lebenslänglich weiterzuführen".
14.04.1994
Nach dem Gerichtsurteil vom 7. März genehmigt auch das Niedersächsische Umweltministerium am 14. April den Schachtweiterbau in Gorleben. Der Hauptbetriebsplan 1994/1995 zum Abteufen der Schächte wird zugelassen.
18.04.1994
Ab dem 18. April werden die Erkundungsarbeiten im Salzstock Gorleben nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 7. März 1994 fortgeführt. Damit endet die seit September 1993 angesetzte Kurzarbeiter für die Mitarbeiter*innen.
27.04.1994
Mit Änderung der Aufbewahrungsgenehmigung am 27. April wird das "Schweißnaht-Problem gelöst". Die Genehmigung gilt aber nur für einen älteren Behälter-Typen "Castor 2a", der nur noch in fünf Atomkraftwerken Anwendung findet.
Zwischen dem 12. und 23. Mai finden erneut die "wunderpunkte Wendland" statt. Erstmalig schließen alle Ausstellungsorte für eine gemeinsame Protestaktion gegen die Atomanlagen: "Freitag 20.5.1994 geschlossen -> nach Gorleben <-" heißt es im Reisebegleiter.
"Auf immer und ewig" !Gen Gorleben 1994! Wider die atomare Bedrohung - heißt es in einem Aufruf, "schließt euch zusammen zu Horden und Hauffen, zur Mission gen Gorleben.
Ab dem 12. bis zum 22. Mai von Himmelfahrt bis Pfingsten, wollen wir beim Kreuz-und-Quer-Zug umherschweifen, lagern, belagern, jubilieren mit Geist und Gerät, ohne Feuer und Schwert, für Ehre und Gerechtigkeit, tapfer und gewaltlos, um das Leben gegen das ewige-fahle Feuer des entfesselten Atom, gegen Castor und Plutonium zu schützen." (aus: Reisebegleiter 1994)
Zu Pfingsten werden die Atomanlagen Gorleben von etwa 300 Atomkraftgegner*innen "mit mittelalterlichen Geräten belagert": Sie bauen einen Belagerungsturm, Wurfmaschinen und den im Rahmen des "Castor-Halle-Huja" im September 1993 gefertigten Rammbock auf. Kurzzeitig gibt es Rangeleien mit der Polizei.
24.05.1994
Am 24. Mai teilt der Betreiber der Zwischenlagers Gorleben dem Bundesamt für Strahlenschutz mit, dass neun abgebrannte Brennelemente aus dem AKW Philippsburg-2 in einem Castor-Behälter nach Gorleben gebracht werden sollen.
Juni
Anfang Juni
Anfang Juni wird bekannt, dass der Castortransport zwischen dem 27. Juni und dem 10. Juli in Philippsburg beladen werden und in der Woche ab dem 11. Juli in Gorleben eintreffen soll.
06.06.1994
Am 6. Juni startet die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg mit einer Veranstaltung die fünfte Anti-Castor-Mobilisierung. In den darauf folgenden Tagen treffen sich die verschiedenen örtlichen Gruppen, Aktionskonzepte werden entwickelt, Inserate in der "Elbe-Jeetzel-Zeitung" geschaltet und der Landkreis nach und nach mit Plakaten und Parolen verziert. Täglich und nächtlich gibt es mehrere Aktionen.
11.06.1994
Am 11. Juni erklären 17 BürgermeisterInnen, der Landrat und seine zwei StellvertreterInnen per Inserat: "Wir stellen uns quer!"
19.06.1994
Am 19. Juni beschließen süddeutsche Anti-Atom-Initiativen auf einem Treffen in Karlsruhe die Beobachtung des AKW Philippsburg. Außerdem werden verschiedene Aktionen für das Vorfeld und den konkreten Transporttermin vorbereitet.
21.06.1994
Eine "Gruppe Waschbär" verübt am 21. Juni einen Anschlag auf das Infohaus der Zwischenlager-Betreiberin in Gorleben, bei dem 20.000 DM Schaden entstehen. Am gleichen Tag blockieren über 100 SchülerInnen "probeweise" für knapp eine Stunde die Lüchower Innenstadt. Vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg wird zudem eine Klage gegen die geänderte Aufbewahrungsgenehmigung des Zwischenlagers eingereicht. Parallel dazu erfolgt die Ankündigung, sollte die Klage keine aufschiebene Wirkung für den Castortransport haben, würde man einen Eilantrag auf Aufhebung des Sofortvollzugs folgen lassen.
23.06.1994
Am 23. Juni sprechen sich alle Pastoren des Kirchenkreises Dannenberg gegen den Atommüll-Transport aus, am "Tag X" wollen sie Andachten und Gottesdienste abhalten. In der Nacht werden bei einem Anschlag auf die Güterbahn- und damalige Castortransportstrecke Uelzen - Dannenberg 19 Bahnschwellen in der Mitte zersägt und anschließend die Schienen verbogen.
25.06.1994
Der zwölfachsige Spezial-Bahnwaggon trifft am 25. Juni mit einem leeren Castor-Behälter am AKW Philippsburg ein.
27.06.1994
Am 27. Juni wird der Atommüll-Behälter per Kran vom Waggon zur Schleuse in der Reaktorkuppel des AKW Philippsburg-2 gehoben und eingeschleust.
28.06.1994
Am 28. Juni wird bekannt, dass der Bund den Sofortvollzug für die geänderte Aufbewahrungsgenehmigung des Zwischenlagers Gorleben angeordnet hat. Damit hat die am 21. Juni in Lüneburg eingereichte Klage keine aufschiebende Wirkung mehr. Einige Tage später beantragen die KlägerInnen wie angekündigt die Aufhebung des Sofortvollzugs.
30.06.1994
Zwei Tage später, am 30. Juni, erklärt die Niedersächsiche Umweltministerin Monika Griefahn in einem Brief an die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, dass sie "alle Handlungsmöglichkeiten ausgeschöpft" habe, die Inbetriebnahme des Zwischenlagers zu verhindern. Sie teilt mit, sie werde selbst "am Tage X präsent sein". Am gleichen Tag demonstrieren über 30 Trecker in Dannenberg zur Wochenmarktzeit gegen den drohenden Castortransport.
Juli
Anfang Juli
Der "Risikotransport quer durch die Republik", überraschend angekündigt, wird von Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) als "Kriegserklärung Bonns" und "unverständliche Provokation" angesehen. Die offizielle Haltung der Landesregierung ist gegen den Transport und gegen die Atomanlagen in Gorleben. Carsten-Uwe Heye, der Sprecher von Ministerpräsident Gerhard Schröder sieht dennoch in den Aktivitäten der Castor-GegnerInnen "unangenehme Reste der Anti-AKW-Bewegung am Werk".
Hüttendorf "Castornix"
02.07.1994
Neun Tage vor dem angekündigten Transporttermin beginnen am 2. Juli AtomkraftgegnerInnen im Wald bei den Atomanlagen Gorleben mit dem Bau eines Hüttendorfs: Hütten werden gezimmert, Planen zwischen den Bäumen gespannt, aus dem Unterholz erwächst die Trutzburg "Castornix".
06.07.1994
"Castor, bleib wo Du bist", "Wir haben Angst" oder "Wenn der Castor kommt, stellen wir uns quer!": Am 6. Juli nehmen die Inserate gegen den Atommüll-Transport in der "Elbe-Jeetzel-Zeitung" inzwischen mehr als eine Seite ein. Erneut werden Anschläge auf die Bahnstrecke verübt, Eisen und Bäume liegen auf den Schienen.
"Der Schiet wird immer blöder, erst der Albrecht, nun der Schröder"
Transparentspruch am 7. Juli 1994 in Hitzacker
07.07.1994
Für den 7. Juli hat der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) seine Teilnahme an einer Veranstaltung zum Castor-Streit im Kurhaus Hitzacker angekündigt. Am frühen Morgen werden auf allen Zufahrtsstraßen des Landkreises Lüchow-Dannenberg die verschiedensten Blockaden errichtet. In einer Erklärung wird Landes-Umweltministerin Monika Griefahn an ihr Versprechen erinnert, mit zu blockieren, wenn der Castor kommt. Auf der Veranstaltung in Hitzacker kündigt Schröder an, dass das Land durch "gründliche Prüfungen" der Philippsburger Unterlagen den Versuch unternehmen werde, den Transport zu verzögern. Andererseits bekennt er sich dazu, "im Zweifelsfall auf der Seite des Rechtsstaates zu stehen", auch wenn dieser die Atomindustrie schütze:
"Wir verweigern dem Atomstaat den Gehorsam", kündigten die Atomgegner dem Ministerpräsidenten an. Motto: "Wir stellen uns quer.""Wer sich querstellt, muß mit Konsequenzen rechnen, es gibt keine Zivilcourage zum Nulltarif", "Der Staat darf vor Einzelinteressen nicht zurückschrecken, seien sie moralisch noch so integer".
09.07.1994
Trotz erster Meldungen, dass sich der angekündigte Transporttermin wahrscheinlich nicht einhalten lässt, versammeln sich am 9. Juli 2.000 Menschen aus dem Wendland und dem ganzen Bundesgebiet vor den Gorlebener Atomanlagen und im Hüttendorf "Castornix". Über 30 Trecker versperren die Zufahrt zum Zwischenlager, weitere Blockaden, u.a. mit einem Belagerungsturm, werden errichtet. Die Polizei hält sich zurück.
"Kummt de Atomschiet in de Kiste, stellt wi den Traktor up de Piste."
Bäuerliche Notgemeinschaft Lüchow-Dannenberg
10.07.1994
Am folgenden Tag (10. Juli) wächst das "Castornix"-Hüttendorf auf 1.000 Menschen an, die Blockade der Zwischenlagerzufahrt dauert an.
11.07.1994
11. Juli: Der angekündigte Abfahrtstermin verstreicht, ohne dass sich der Castor in Bewegung setzt. Der Behälter wurde bis dahin noch nicht aus dem Inneren des AKW Philippsburg ausgeschleust.
11.07.1994
Laut eines Artikels im "Spiegel" vom 11. Juli wurden bereits 1,4 Milliarden Mark für den Bau des unterirdischen Atommüll-Endlagers Gorleben ausgegeben.
13.07.1994
Am 13. Juli räumt die Polizei das Hüttendorf "Castornix". Der Belagerungsturm wird zersägt, Straßenuntertunnelungen wieder zugeschüttet. Rund 800 Beamt*innen müssen etwa 400 Atomkraftgegner*innen wegtragen, die Polizei verhält sich dabei relativ zurückhaltend und lässt die Holzhütten stehen. Begründung für die Räumung ist der Erlass eines Versammlungsverbots, das im Umkreis von ca. vier Kilometern um die Atomanlagen Gorleben so lange gelten soll, bis der Atommülltransport aus dem AKW Philippsburg das Zwischenlager erreicht hat.
15.07.1994
Am 15. Juli gibt der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) bekannt, dass der Castor-Transport nicht vor Ende der Sommerferien am 31. August rollen kann. In der Urlaubszeit stünden "nicht genügend Einsatzkräfte" der Polizei und des Bundesgrenzschutzes zur Verfügung. Daraufhin wird das Versammlungsverbot aufgehoben. Noch am Abend kehren die ersten AtomkraftgegnerInnen wieder in das Hüttendorf "Castornix" zurück.
16.07.1994
Statt einer angekündigten Demonstration gegen das Versammlungsverbot ziehen am 16. Juli mehrere tausend Menschen in einem "Triumphzug" zum Zwischenlager Gorleben. Nach der Kundgebung findet ein Open-Air-Konzert mit Bands aus Hamburg, Stuttgart und Lüchow-Dannenberg statt. Am Hüttendorf wird weitergebaut.
19.07.1994
Am 19. Juli wird der mit neun abgebrannten Brennelementen beladene Castor-Behälter vom Typ "2a" aus dem Reaktor des AKW Philippsburg-2 ausgeschleust und auf den Spezial-Bahnwaggon verladen.
19.07.1994
Durch das Artikelgesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 19. Juli wird die "direkte Endlagerung" als gleichwertiger Entsorgungsweg neben der Wiederaufarbeitung von abgebrannten Brennelementen anerkannt.
19.07.1994
Das Bergamt Celle lässt am 19. Juli das Verbringen des beim Abteufen der Schächte Gorleben 1 und 2 anfallenden Salzes zur Salzhalde vorläufig bis zum 31.12.1995 im sogenannten Probebetrieb zu.
20.07.1994
Am 20. Juli muss die Polizei Bundesumweltminister Klaus Töpfer den Weg zu einer Veranstaltung in Scharnebeck freikämpfen. In der Nähe des Verladekranes unterhöhlen 200 Atomkraftgegner*innen 28 Bahnschwellen.
21.07.1994
Umweltministerin Monika Griefahn (SPD) bekräftigt, daß eine Zustimmung ihrer Behörde unabhängig von den formalen Prüfungen unwahrscheinlich sei, da der Atommüll-Transport nach Gorleben "völlig überflüssig" sei und eine "unnötige Strahlenbelastung" darstelle (Handelsblatt, 21. Juli 1994). Der Atommülltransport aus dem AKW Philippsburg-2 in das Zwischenlager Gorleben ist laut des AKW-Betreibers EnBW technisch nicht notwendig. Das Abklingbecken im AKW hätte noch Platz für weitere Brennelemente bis zum Jahre 2011.
21.07.1994
Am 21. Juli erzwingt Bundesumweltminister Klaus Töpfer per Weisung die Erteilung der 2. Teilerrichtungsgenemigung (TEG) für die Pilot-Konditionierungsanlage Gorleben vom niedersächsischen Umweltministerium unter Monika Griefahn. Töpfer drohte mit einer Klage beim Verfassungsgericht, falls die niedersächsische Landesregierung nicht bis zum 1. August seiner Weisung nachkomme. Mit der 2. TEG werden die maschinen-, verfahrens-, elektro- und leittechnischen Einrichtungen und deren vorbetriebliche Erprobung genehmigt.
Griefahn beugt sich dem "massiven Druck aus Bonn" und erteilte die Genehmigung. Sie verweigert aber den Sofortvollzug mit der Begründung, daß "damit den Bürgern das Recht zur gerichtlichen Überprüfung des Weiterbaues der PKA genommen werde". Die Landesregierung hält die PKA weiterhin für überflüssig, "weil es in Gorleben kein Endlager geben wird".
25.07.1994
Wegen der hohen Waldbrandgefahr beschließen die Bewohner*innen des Hüttendorfs "Castornix" am 25. / 26. Juli einen Umzug an die Elbe bei Pölitz, etwa 3 km nördlich von Gedelitz.
29.07.1994
Das Land Niedersachsen muß dem Bund Ersatz für die Schäden leisten, die diesem durch den Stillstand der Arbeiten am Schacht 2 des Erkundungsbergwerks Gorleben vom 6.10.1990 bis 20.2.1991 entstanden sind. So entscheidet am 29. Juli das Landgericht Hannover. Die Zwangspause war durch den Einspruch eines Grundeigentümers entstanden, dem das Bergamt Celle aufschiebende Wirkung zugebilligt hatte. Für diese aufschiebende Wirkung gab es nach Feststellung des Gerichts jedoch keine rechtliche Grundlage. Über die Höhe der Ansprüche ist noch nicht entschieden worden. Sie wird vom Bund mit zehn Millionen Mark beziffert.
August
02.08.1994
2. August: Bundesumweltminister Töpfer stellt Niedersachsens Umweltministerin Griefahn ein Ultimatum zur Bearbeitung der Papiere für den Castortransport aus dem AKW Philippsburg nach Gorleben "bis 15.00 Uhr".
04.08.1994
Am 4. und 5. August machen die "Gorleben-Frauen" auf ihrer Reise zum AKW Philippsburg auf 13 Bahnhöfen im ganzen Bundesgebiet Station und informieren über die Gefahren der CASTOR-Transporte.
09.08.1994
Am 9. August gibt das niedersächsische Umweltministerium bekannt, dass es bei der Beladung des Castor-Behälters im Atomkraftwerk Philippsburg-2 zu einer "Pannenserie" gekommen sei.
Gleich zu Beginn der Beladung entdeckten Techniker etwa 180 Gramm Nickelspäne im Behälterschacht, die von der Nachbearbeitung der Nickel-Innenbeschichtung beim Hersteller stammt und nicht abgesaugt wurde.
Nachdem die Techniker den 120 Tonnen schweren Behälter im Brennelementebecken mit seiner heißen Fracht bestückt hatten, wollten sie den inneren der beiden Deckel aufsetzen. Doch dieser „Primärdeckel“, der bei richtigem Sitz ein Stück in den Schacht hineinragt, verkantete sich. Das Personal hob ihn wieder ab und entdeckte eine kaputte Elastomerdichtung. Die Wasserverdrängung des gut fünf Tonnen schweren Primärdeckels hatte eine so große Strömung erzeugt, daß die Dichtung herausgeschwemmt wurde. Man hätte zwar den Deckel nach der Herstellung acht- oder neunmal ausprobiert; doch immer im Trocknen, so Klaus Janberg, einem der Geschäftsführer sowohl der Gessellschaft für Nuklearservice als auch der für den Bau des Castor verantwortlichen Gesellschaft für Nuklearbehälter. Denn im Werk fehle ein Becken, um zehn Meter unter Wasser zu üben.
Nach dem Ersetzen der kaputten Dichtung unternahm das Bedienungspersonal den zweiten Versuch. Doch wieder verkantete der Deckel, diesmal so stark, daß er sich nicht mehr abheben ließ. Die Techniker hievten den beladenen Behälter daraufhin aus dem Becken und richteten den Deckel mit hydraulischen Werkzeugen aus. Da die Führungsbolzen aus Edelstahl verkratzt waren, tauschten sie sie gegen bronzene aus. Anschließend ging der Castor wieder zu Wasser. Jetzt gelang es, den Deckel zu lüpfen. Die Mannschaft zog die Brennstäbe wieder aus dem Behälter heraus, den sie daraufhin erneut aus dem Becken holte. Diesmal war nicht nur die Elastomerdichtung beschädigt. Deckel und Behälterkörper wiesen Reibspuren auf - allerdings nur an Stellen, die für die Dichtheit des Castor unerheblich sind. Um eine glatte Oberfläche wiederherzustellen, wurden die Kratzer einem Feinschliff unterzogen.
Erst mithilfe einer Hilfskonstruktion gelang es, den Primärdeckel im Brennelementebecken vorsichtig aufzusetzen. Als dann der Innenraum des Castor getrocknet werden sollte, fielen die Geräte zur Feuchte- und Druckmessung aus. Da Instrumente von gleichem Typ nicht zur Hand waren, benutzte die Mannschaft andere. Nachdem auch der zweite Feuchtemesser kaputtging, griff sie auf ein drittes Modell zurück. Die teilweise geringere Meßgenauigkeit der Ersatzgeräte spielte keine Rolle, da der Innenraum zuletzt erheblich trockener war als vorgeschrieben. Die Trocknung hatte allerdings viel länger gedauert als geplant: Die Bohrung im Deckel, durch die dem Inneren die Feuchte zu entziehen ist, erwies sich als zu klein.
"Sicherheitstechnische Defizite oder Lücken bestehen nicht", resümierte der TÜV Südwest, der die Beladung zusammen mit dem TÜV Hannover/Sachsen-Anhalt und der Berliner Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung überwacht hat.
13.08.1994
13. August: Da dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem das "Castornix"-Hüttendorf errichtet wurde, der Abriss der Bauten und Zwangsgelder in fünfstelliger Höhe angedroht werden, beginnen 50 Atomkraftgegner*innen mit dem Abbau des Dorfes.
17.08.1994
In einem Gespräch zwischen Bundesumweltminister Töpfer und Niedersachsens Ministerpräsident Schröder wird am 17. August deutlich, dass der Atommüll-Transport aus dem AKW Philippsburg wohl nicht mehr vor der Bundestagswahl am 16. Oktober nach Gorleben rollen wird.
19.08.1994
Mit klassischer Musik blockiert die Gruppe "Lebenslaute" am 19. August die Zufahrt zum Zwischenlager Gorleben. Mittags werden in einer Blitzaktion beide Tore mit Leitern überschritte und das Konzert findet etwa eine halbe Stunde "drinnen" und "draußen" statt.
20.08.1994
Am 20. August blockieren 20 Trecker die Dömitzer Brücke, eine der wichtigsten Zufahrtsstraßen zum Landkreis Lüchow-Dannenberg. Parallel startet in Gorleben eine "CastorNix-Karawane", die über die Atommülltransportwege bis zum Atomkraftwerk Philippsburg führen soll und über die Gefahren der Atommüll-Fuhre informiert.
20.08.1994
Das Verwaltungsgericht Braunschweig erklärte am 20. August die sogenannte "Endlagervorausleistungsverordnung" für nichtig. Diese auferlegt den AKW-Betreibern die Vorfinanzierung der Arbeiten an den geplanten Endlagern für radioaktive Abfälle. Nach Auffassung der Richter müssen die Kosten für die Endlager Gorleben und Schacht Konrad "getrennt ausgewiesen und nach der tatsächlichen späteren Nutzung für die Lagerung radioaktiver Abfälle aus Kernkraftwerken bemessen werden". Zudem sei unsicher, ob die Endlager überhaupt in absehbarer Zeit in Betrieb gehen würden.
September
Gorleben als Atommüll-Zentrale
02.09.1994
Laut eines Berichts in der "Zeit" vom 2. September gibt es "zwei Gründe für die plötzliche Entschlossenheit der Energiewirtschaft, das Zwischenlager zu nutzen":
Seit dem Frühjahr ist die direkte Endlagerung gesetzlich möglich. Direkte Endlagerung, das heißt: Zwischenlager in Gorleben, Behandlung der Brennstäbe in der Pilotkonditionierungsanlage (PKA) Gorleben, Endlagerung im Salz, möglichst auch in Gorleben. Außerdem müsse noch vor Ablauf des Jahres hochradioaktiver Abfall aus der Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague zurückgenommen werden. Auch dieser Müll soll nach Gorleben.
06.09.1994
Am 6. September läuft das Flachseismik-Hauptprogramm im Rahmen der Erkundung des Salzbergstocks Gorleben an.
19.09.1994
Die Initiative von Baden-Württembergs Umweltminister Harald B. Schäfer (SPD), den bereits auf den Bahnwaggon verladenen Castorbehälter in Philippsburg wegen "illegaler Lagerung" wieder auspacken zu lassen, scheitert am 19. September an einer Weisung aus dem Bundesumweltministerium in Bonn.
23.09.1994
Am 23. September gibt die niedersächsische Umweltministerin Monika Greifahn bekannt, dass sie dem geplanten Atommülltransport aus dem AKW Philippsburg nach Gorleben die Zustimmung verweigern wird.
Oktober
10.10.1994
Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) will das geplante Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle im Schacht Konrad bei Salzgitter notfalls durch Weisung an die niedersächsische Landesregierung genehmigen lassen. Der Minister erklärte am 10. Oktober in Bonn, er habe seiner niedersächsischen Amtskollegin Monika Griefahn (SPD) den Entwurf für eine Genehmigung des Endlagers zugeleitet und ihr acht Wochen Frist für eine Stellungnahme eingeräumt. Wenn Niedersachsen dem nicht nachkomme, werde er seinen Entwurf bis zur "Erlaßreife" vervollständigen und den Bau des Endlagers per Bundesanweisung durchsetzen.
15.10.1994
Am 15. Oktober blockieren Schüler*innen aus Protest gegen den Castor-Transport mehrmals die Lüchower Innenstadt.
16.10.1994
Nach der Bundestagswahl am 16. Oktober übernimmt Angela Merkel die Leitung des Bundesumweltministeriums.
22.10.1994
Am 22. Oktober demonstrieren 200 Ärzt*innen, Mitglieder des IPPNW aus dem ganzen Bundesgebiet, in Gorleben.
26.10.1994
Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) erteilt am 26. Oktober seiner niedersächsische Amtskollegin Monika Griefahn (SPD) die bundesaufsichtliche Weisung, binnen zwei Wochen der seit Juli umstrittenen Einlagerung von neun verbrauchten Brennelementen aus dem AKW Philippsburg im Zwischenlager Gorleben zuzustimmen. Töpfer hatte sich zuvor mit dem Bundeskabinett abgestimmt. Ein Sprecher des niedersächsischen Umweltministeriums kündigt an, daß die Weisung mit Ablauf der gesetzten Frist befolgt werde. Umweltministerin Griefahn und Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) halten jedoch an ihrem Standpunkt fest, daß die "Castor"-Transportbehälter unsicher seien und es im AKW Philippsburg noch ausreichend Lagermöglichkeiten gebe.
26.10.1994
Am gleichen Tag (26.10.) statten die "Gorleben-Frauen" Umweltminister Töpfer in Bonn einen Besuch ab.
November
Wendland wird blockiert
05.11.1994
Weit über 1.000 AtomkraftgegnerInnen blockieren am 5. November für einen Tag lang die vier wichtigsten Zufahrtsstraßen zum Landkreis Lüchow-Dannenberg sowie die Bahnstrecke nach Dannenberg.
09.11.1994
9. November: Niedersachsen stimmt den Atommüll-Transport aus dem AKW Philippsburg in das Zwischenlager Gorleben zu.
10.11.1994
Am 10. November kommt es erneut zu Blockaden: Nächtliche Barrikaden aus Baumstämmen und brennenden Strohballen machen viele Zufahrtsstraßen an 20 Stellen im Landkreis stundenlang unpassierbar.
11.11.1994
Am 11. November beginnen tägliche Mahnwachen in den großen Ortschaften des Landkreises Lüchow-Dannenberg.
12.11.1994
Auf einer Pressekonferenz des Bundesinnenministeriums wird am 12. November bekannt, dass die Absicherung des Castor-Transports aus dem AKW Philippsburg in das Zwischenlager Gorleben 15 Millionen DM kosten wird. Über 5.000 BeamtInnen von Polizei und Bundesgrenzschutz sollen allein im Wendland im Einsatz sein, an der Bahnstrecke von Philippsburg bis an die Landkreisgrenze von Lüchow-Dannenberg noch einmal 15.000. Es handelt sich dabei um den größten Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik.
14.11.1994
Durch Sabotageaktionen auf Oberleitungen der Deutschen Bahn zwischen Celle und Garßen bricht am 14. November der Zugverkehr rund um Hannover stundenlang zusammen. Unbekannte Täter hatten "U-förmig gebogene Eisen" über die Oberleitungen geworfen, so daß sich die Stromabnehmer der Lokomotiven in den Hindernissen verfingen und die Leitung an mehreren Stellen herunterrissen. Infolge der Anschläge haben 78 Züge zum Teil stundenlange Verspätungen. Zu den Anschlägen bekennt sich ein anonymes "K.Ollektiv Gorleben". Aufkleber werden gefunden, die auf einen Zusammenhang mit dem angekündigten Castor-Transport hinweisen.
17.11.1994
Am 17. November blockieren Autoreifen und zwei gefüllten Benzinkanistern eine Brücke bei Dannenberg. Zwei Autofahrer rammen das Hindernis, werden aber nicht verletzt. In Hannover demonstrieren Eltern mit ihren Kindern vor der Staatskanzlei gegen den Transport.
19.11.1994
Trotz des angekündigten Versammlungsverbots demonstrieren am 19. November über 2.000 Castor-Gegner*innen auf den Bahnschienen mit einer "Streckenbegehung" zwischen Pudripp und Dannenberg sowie das Gleis nach Lüneburg. Die Räte der Stadt und Samtgemeinde Dannenberg sprechen sich erneut gegen den Atommülltransport aus.
20.11.1994
Am 20. November erläßt die Bezirksregierung Lüneburg ein sechs Zeitungsseiten füllendes Versammlungsverbot für den Zeitraum bis zum Castor-Transport. Am gleichen Tag bringen DemonstrantInnen einen Zug durch Ziehen der Notbremse mehrere Male zum Stehen und blockieren das Gleis mit Baumstämmen. Insgesamt muß die Polizei an diesem Wochenende 23 Barrikaden aus Strohballen, Baumstämmen, Wellblechen und Kilometersteinen von den Gleisen entfernen. Vor dem AKW Philippsburg demonstrieren am 20. November etwa 120 Menschen.
Die Durchführung des Castor-Transports wird ab dem 22. November erwartet. Ein großes Polizeiaufgebot steht für die erwarteten Auseinandersetzungen mit Demonstrant*innen bereit. SPD und Bündnis 90/Grüne appellieren an Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU), die Weisung ihres Vorgängers Klaus Töpfer zumindest auszusetzen. Andernfalls - so der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Müller - würden die Weichen "auf Konfrontationskurs mit der Umweltpolitik gestellt". Das Umweltministerium weist diese Forderung zurück.
"Gravierendes Regelungsdefizit": Castortransport wird abgesagt
21.11.1994
Am "Tag der Entscheidung", am 21. November, treffen sich tausende Menschen auf dem Marktplatz in Lüchow. Am Abend wird die Weisung des Bundesumweltministers an die niedersächsische Landesregierung zur Genehmigung des Transports durch eine vorläufige Entscheidung des Verwaltungsgerichts Lüneburg aufgehoben. Das Gericht ordnet die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage an, mit der sich im April zwei BewohnerInnen aus dem Raum Gorleben gegen die Einlagerung des Atommülls gewandt hatten. Aus einer nächtlichen Demonstration in Gorleben wird ein Freudenfest, über 3.000 Menschen feiern vor dem Zwischenlager die ganze Nacht lang ihren "Sieg".
24.11.1994
In der Aussprache des Bundestags über eine Regierungserklärung bekräftigt Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) am 24. November, daß die Bundesregierung weiterhin auf einen "sinnvollen Energiemix" setze. Dazu gehöre die Möglichkeit, in Deutschland auch in Zukunft Atomkraftwerke auf dem "jeweils höchsten Sicherheitsstandard" zu bauen. Bundesumweltministerin Merkel befürwortet in ihrer Antrittsrede den baldigen Beginn neuer energiepolitischer Konsensgespräche. SPD und Grüne bringen einen Entschließungsantrag ein, der die Bundesregierung auffordert, die Bundesweisung an Niedersachsen zur Einlagerung der Brennstäbe in Gorleben zurückziehen. Der Antrag wurde mit 331 Stimmen der Koalitionsmehrheit gegen 292 Befürworter abgelehnt. Abgeordnete der Grünen tragen bei der Debatte demonstrativ T-Shirts mit den Aufschriften "Atomkraft - nein danke" und "Castor Alarm".
25.11.1994
Am 25. November reicht das Verwaltungsgericht Lüneburg die 25 Seiten umfassenden Begründung des Beschlusses, den Castortransport abzusagen, nach. Das Gericht beanstandet generell die 1988 erteilte Genehmigung für die Einlagerung von Castor-Behältern, weil sie Pannen, wie sie bei der Beladung des Behälters in Philippsburg aufgetreten seien, nicht berücksichtige. Dies sei ein "gravierendes Regelungsdefizit", da dadurch die Einlagerung eines Behälters in Gorleben möglich werde, der nicht den verbindlichen Handhabungs- und Prüfrichtlinien entsprechend beladen worden sei. Bundesumweltministerin Angela Merkel legt gegen die ergangene Entscheidung Beschwerde ein, mit der sich das Oberverwaltungsgericht Lüneburg befassen muß.
28.11.1994
Am 28. November berichtet "Der Spiegel" aus einem angeblichen "Strategiepapier" von Technikern und Stabsmitarbeitern der Energieversorgungsunternehmen (EVU) für ihre Konzernchefs, dass sich die EVU auf den Ausstieg aus der Atomenergie vorbereiten würden und die Bereitschaft signalisiert hätten, den umstrittenen Endlagerstandort Gorleben aufzugeben. Stattdessen solle die Einlagerung hochradioaktiver Abfälle in dem geplanten Endlager für schwach- und mittelaktive Abfälle im Schacht Konrad bei Salzgitter ermöglicht werden. Die EVU seien überdies bereit, ein oder zwei Reaktoren wie Würgassen sofort abzuschalten. Hauptgeschäftsführer der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) Joachim Grawe und Pressesprecher des Bayernwerks, Erwin Haydn, weisen die Pläne zurück. Es gäbe diese Stratgie nicht.
Dezember
02.12.1994
In einem Artikel in der ZEIT wird der in Philippsburg geparkte Castorbehälter am 2. Dezember als "Deutschlands meistdiskutierter Abfalleimer" bezeichnet. Zudem wird die erste Rückführung von radioaktiven Abfälle aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague angekündigt: Die Fracht solle "in wenigen Wochen anrollen".
Die ganze Geschichte:
…und davor – Die Anfänge bis 1972
Die Anfänge: Erste Überlegungen, Atommüll in Salz zu lagern – statt ihn in der Tiefsee zu versenken. Gasexplosion im Salzstock Gorleben-Rambow.
1973
1973 werden die Pläne bekannt, bei Langendorf an der Elbe ein Atomkraftwerk zu bauen. In der Debatte um einen Standort für ein Atommüll-Endlager bzw. die Errichtung eines Entsorgungszentrums spielt Gorleben 1973 offiziell keine Rolle.
1974
Die Standortsuche für ein Atommülllager beginnt. Das Credo: So lange die Anlage genug Platz hatte und niemanden störte, war alles gut. Der Standort Gorleben hatte damit nichts zu tun.
1975
Im August 1975 bricht bei Trebel ein großer Waldbrand aus. Die Bundesregierung geht bei der Standortsuche für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) davon aus, dass mehrere Salzstöcke parallel untersucht werden müssten. Gorleben gehört nicht dazu.
1976
(…) In einer zweiten Version der TÜV-Studie wurde handschriftlich der Standort Gorleben ergänzt und als am besten geeignet befunden. (…)
1977
Die Bedenken sind stark, doch Gorleben wird trotzdem zum Standort für den Bau eines gigantischen „Nuklearen Entsorgungszentrums“ benannt. Daraufhin finden erste Großdemonstrationen statt.
1978
Innerhalb von 5 Tagen sammeln Gorleben-Gegner*innen 800.000 DM, um der DWK beim Kauf weiterer Grundstücke über dem Salzstock Gorleben zuvor zukommen.
1979
Im März 1979 findet der legendäre „Treck nach Hannover“ statt. Nach einer Großdemonstration in der Landeshauptstadt verkündet Niedersachsens Ministerpräsident Albrecht das Aus für die WAA-Pläne in Gorleben.
1980
Platzbesetzung der Bohrstelle Gorleben 1004 und Gründung der „Republik Freies Wendland“. Die Räumung nach vier Wochen wird zum größten Polizeieinsatz in der Geschichte der BRD.
1981
Gorleben-Hearing in Lüchow zum Bau des Zwischenlagers und massiver Protest gegen das AKW Brokdorf. Nach Bohrungen werden die Zweifel an der Eignung des Salzstock Gorleben für ein Endlager „größer, nicht kleiner“. Doch Gegner*innen des Projekts seien „Schreihälse, die bald der Geschichte angehören“, meinen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Oppositionsführer Helmut Kohl.
1982
Baubeginn des Zwischenlagers wird mit Aktionen im Grenzstreifen zur DDR beantwortet, militante Eskalation beim „Tanz auf dem Vulkan“ und immer schlechtere Bohrergebnisse. Plötzlich ist das Wendland mit Dragahn wieder als ein WAA-Standort im Gespräch.
1983
Proteste gegen die Pläne, in Dragahn eine WAA zu errichten. „Gorleben statt Kreta“ und Demos im Grenzgebiet zwischen der DDR und BRD. Das Bundeskabinett unter Helmut Kohl stimmt der „untertägigen Erkundung“ des Salzstocks Gorleben zu.
1984
„Das Vertrauen hat sehr gelitten“: Menschenkette und Wendland-Blockade gegen die WAA-Pläne. Unter erheblichem Protest erreicht ein erster Atommülltransport das Fasslager Gorleben.
1985
Ein erster leerer Probe-Castor erreicht das Wendland. Der erste Kreuzweg führt vom AKW Krümmel nach Gorleben. Nach Anschlägen auf die Bahn werden die Daten von tausenden Gorleben-Gegner*innen von der Polizei gespeichert – und damit eine ganze Szene pauschal kriminalisiert.
1986
Baubeginn im Bergwerk Gorleben. Heftige Auseinandersetzungen um die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und das AKW Brokdorf. Nach dem GAU von Tschernobyl protestieren zehntausende Menschen gegen die Atomenergie.
1987
Schwerer Unfall in Schacht 1 des Bergwerks in Gorleben. „Transnuklearskandal“ betrifft auch Atommüll im Zwischenlager, Proteste gegen den Bau der PKA.
1988
Kreuzweg der Schöpfung führt von Wackersdorf nach Gorleben, Schmiergeldskandal, „Wir stellen uns quer“ – Proteste gegen den ersten Probecastor ins Zwischenlager.
1989
Das Aus für die WAA Wackersdorf, Castor-Alarm: erster Atommülltransport nach Gorleben wird wenige Stunden vor Abfahrt gerichtlich gestoppt.
1990
„Ein Hauch der Freien Republik Wendland wehte durch den Gorlebener Tann…“, als auf dem Bauplatz der PKA Hütten errichtet werden. Aktivist*innen besetzen im Sommer den Förderturm in Gorleben, zum Jahresende Baustopp und SPD-Versprechen.
1991
Proteste gegen die Anlieferung von Mol-Container, PKA-Bauplatzbesetzung, erneuter „Castor-Alarm“ und nächster Baustopp im Erkundungsbergwerk.
1992
Resolution gegen und eine Mehrzweckhalle für Gorleben, Erweiterung des Zwischenlagers und viel Geld für den Landkreis.
1993
Sitzblockaden gegen Atommüll-Lieferungen, „Wege aus der Gorleben-Salzstock-Sackgasse“, Energiekonsens-Gespräche und hohes Bussgeld gegen Turmbesetzer*innen.
1994
Widerstandscamp „Castornix“ und erhebliche Proteste gegen ersten Castortransport, der wegen technischer Mängel dann abgesagt wird. Weiterbau der PKA per Weisung.
1995
Anschläge auf Bahn & Kran, die Aktion „ausrangiert“ will den ersten Castor empfangen, Bundesumweltministerin Merkel macht den absurden Backpulver-Vergleich & der Baustopp im Bergwerk wird aufgehoben.
1996
10 Jahre nach Tschernobyl, „Wir stellen uns quer!“ gegen den zweiten Castor nach Gorleben.
1997
Gewaltsame Räumung für den dritten Castor, Griefahn knickt ein & mehr Geld von der BLG.
1998
Einwendungen gegen die PKA, Castortransport nach Ahaus, Transportestopp nach verstrahlten Behältern, Einstieg in den Atomausstieg und Moratorium im Salzstock.
1999
„Flickschusterei“ um Atomausstieg & AkEnd, Stunkparade nach Berlin und die Ankündigung, dass sich beim nächsten Castor X-tausend Menschen querstellen werden.
2000
Defekte Brücke und unsichere Behälter verhindern Castorlieferung, Atomkonsens „alles Lüge“, denn er sichert den Weiterbetrieb der AKW und Moratorium im Salzstock.
2001
Zwei Atommülltransporte rollen nach Gorleben, einer im März, ein zweiter im November. X-tausend Menschen stellen sich quer und WiderSetzen sich. Der Betonblock von Süschendorf zwingt den Castor zum Rückwärtsgang. Der Widerstand bekommt ein Archiv, die Bundestagsabgeordneten ein Denkmal, die „Gewissensruhe“.
2002
25 Jahre nach der Standortbenennung künftig keine Wasserwerfer mehr gegen den Widerstand, Freispruch im Süschendorf-Prozess, Ver-rück-te Dörfer gegen zwölf Castorbehälter, Rechenfehler und ein Abschlussbericht des AKEnd.
2003
Betonklötze für Betonköpfe, „Fest zum Protest“, der Salzstock wird besetzt, der siebte Castor rollt. Atomausstieg: das AKW Stade geht vom Netz – aber die Endlagersuche bleibt weiter unklar.
2004
Schienensitzen ist keine Straftat, das Einkesseln rechtswidrig, Trash People in Gedelitz, eine Veränderungssperre für den Salzstock zemetiert dessen Sonderstellung. Der Castortransport im Herbst verändert alles: Sebastién wird überfahren und stirbt.
2005
25 Jahre nach der „Republik Freies Wendland“ und 10 Jahre nach dem ersten Castortransport ist die Entsorgung des Atommülls weiter ungelöst. In die Debatte um die Entsorgung des Atommülls und die Zukunft der Atomenergie kommt Bewegung, die Veränderungssperre für den Salzstock wird verlängert. Container brennen, Bauern ziehen sich aus – und im November rollt der nächste Atommüllzug ins Zwischenlager.
2006
Geologe Grimmel warnt vor Erdbeben, die CDU kann sich in Gorleben ein Untertagelabor vorstellen. „Wir sind gekommen um zu bleiben“: Castorproteste im Herbst mit einer eigenen „Allgemeinverfügung gegen Atomwirtschaft und Polizeiwillkür“ und ein Offenbarungseid von Umweltminister Sigmar Gabriel.
2007
Der Widerstand feiert 30 Jahre Protest, ein Probecastor im Sommer aber keine „heiße Fracht“ im Herbst, stattdessen Kinderkrebsstudie und G8-Gipfel in Heiligendamm.
2008
Endlager-Symposium & Probebohrungen in Hamburg, absaufende Asse-2, 1 Millionen Jahre Endlager-Sicherheit und ein nächster Castortransport im November.
2009
Brisante Enthüllungen: Gorleben wurde aus politischen Motiven zum Endlagerstandort. Seit Jahren wird nicht nur „erkundet“, sondern ein Endlager gebaurt. „Mal so richtig abschalten“ – ein Protest-Treck aus dem Wendland führt zu einer großen Demo gegen AKW-Laufzeitverlängerung nach Berlin. Kein Castortransport, seit Oktober finden jeden Sonntag Spaziergänge um das Bergwerk statt.
2010
Krümmel-Treck, Ketten-Reaktion, Atomkraft-Schluss!, Castor XXL: die Antwort auf die AKW-Laufzeitverlängerung sind die größten Anti-Atom-Demonstrationen, die es in Deutschland je gab.
2011
Bundesweite Anti-Atom-Proteste nach dem Fukushima-GAU, neuer Atomausstieg, gorleben365 und ein „Rekord-Castor“ – der letzte, der nach Gorleben rollte.
2012
Das „Wendejahr“ mit zahlreichen Werksblockaden unter dem Motto „gorleben365“ und der zentralen Forderung zur Endlagersuche auf der „weißen Landkarte“: Der Fleck Gorleben muss weg!
2013
Mit der „Beluga“ stellt Greenpeace in Gorleben ein Mahnmal auf, der Widerstand läuft Matrathon gegen das neue Standortauswahl-Gesetz.
2014
Die „neue Endlagersuche auf der weißen Landkarte“ beginnt – mit einem dicken Fleck: Gorleben. Immer wieder Proteste gegen die „Atommüllkommission“ der Regierung und tausende Unterschriften gegen weitere Castoren.
2015
Tausende feiern im Sommer an den Atomanlagen, Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht: der „Kessel von Harlingen“ war rechtswidrig.
2016
Für 23 Milliarden Euro entledigen sich die Atomkonzerne dem Atommüll, der ab sofort uns allen „gehört“. Zahlreiche Aktionen an den Atomanlagen gegen die Endlagerpläne der Bundesregierung.
2017
Auch 40 Jahre nach der Standortbenennung ist der Widerstand „lebendig“, Betreiber der Atomanlagen wird der Bund, Castoren auf dem Neckar und letzte Befahrung des Gorleben-Schachts.
2018
Neuer Betreiber will Aus für die PKA, Langzeitlagerung von Castoren rückt in den Fokus, Kritik an der Arbeit des „Nationalen Begleitgremiums“.
2019
30 Jahre Kulturelle Landpartie, 40 Jahre nach dem Treck nach Hannover. Abriss der Schutzmauer um das Bergwerk.
2020
Im „Corona-Jahr“ wird Gorleben Ende September völlig unerwartet aus der weiteren Suche nach einem Atommülllager ausgeschlossen. Nach über 40 Jahren Protestgeschichte ist es vorbei. Im Herbst rollt der erste Castor durch Deutschland, der eigentlich nach Gorleben sollte.
2021
10 Jahre nach Fukushima hat die Corona-Pandemie Deutschland fest im Griff, nur wenige öffentliche Aktionen finden statt. Viel Kritik an Online-Veranstaltungen zur Endlagersuche. Im Sommer der vierte Kreuzweg von Gorleben nach Lützerath. Im Herbst das Versprechen: der Salzstock wird verfüllt.
2022
Das dritte Corona-Jahr beginnt mit einem Schicksalsschlag: völlig unerwartet stirbt Jochen Stay. Mit einem großen Festival feiern Anfang Juni tausende Menschen in Gorleben das Endlager-Aus und den Atomausstieg. Doch zum Jahresende die Ernüchterung: Die AKW-Abschaltung wird verschoben.
2023
Doch kein Atomausstieg zum 31.12.2022 – drei Atomkraftwerke laufen über das Jahr hinaus. Der Protest geht weiter.
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