Gorleben-Chronik

Gorleben-Chronik - 1992

Viel Geld für den Landkreis

15 Jahre Widerstand, Resolution gegen und eine Mehrzweckhalle für Gorleben, Erweiterung des Zwischenlagers und viel Geld für den Landkreis.


Anfang

Im Jahre 1992 ergreift das Land Niedersachsen die Initiative zu einer Neubewertung des Standortes Gorleben und lässt die "Eignungshöffigkeit" des Salzstockes für die Einlagerung von hochradioaktiven Abfällen unter anderem von den Geowissenschaftlern begutachten, die bereits in den 80er Jahren den Bundestag kritisch beraten hatten. Diese bestätigten und untermauerten ihre früheren Bewertungen allerdings.

Anfang

Das Bundesamt für Strahlenschutz berichtet in der Broschüre "Salzstock Gorleben - Als Endlager geeignet" 1992: "Bei der Planung und dem Bau der Endlagerprojekte können heute die Ergebnisse und Erfahrungen genutzt werden, die seit 1967 in der Schachtanlage Asse, einem ehemaligen Salzbergwerk bei Wolfenbüttel (Niedersachsen), mit der Entwicklung und Erprobung von Einlagerungstechniken, aber auch aus umfangreichen Forschungsarbeiten gewonnen wurden."

Februar

05.02.1992

Die neue Kreistagsmehrheit (bunte Koalition) beschließt am 5. Februar eine Resolution zu Gorleben: Sie erteilt der PKA, einem Endlager und dem Zwischenlager eine Absage; der Bau solle gestoppt und abgebrochen werden. Die CDU kritisiert das: Vor Ort sei an den Entscheidungen "nichts mehr zu ändern".
"Es muß endlich Schluß sein mit der moralischen Bewertung der Mehrheit", rief Klaus Wojahn, Vorsitzende der CDU-Fraktion im neuen Lüchow-Dannenberger Kreistag am 5. Februar in den Saal des Bergener Schützenhauses. Gemeint sind Verletzungen der Vergangenheit, der Vorwurf der Korrumpierbarkeit. Die Gegner der Gorlebener Atomanlagen hatten Gemeinderäten und Kreistagsabgeordneten in den letzten 15 Jahren jede Moral abgesprochen, wenn es um die Zustimmung zum Bau des Entsorgungsparks in Gorleben ging. Sie hätten sich kaufen lassen, wurden die Mandatsträger beschimpft. Klaus Wojahn empörte, daß die Kritiker nicht seine Moral hinter den Entscheidungen sahen: Die Zustimmung zu Gorleben hatte Geld, viel Geld, in die öffentlichen Kassen der Gemeinden und des Landkreises Lüchow-Dannenberg gebracht. Nicht nur die Atomindustrie selbst, sondern auch der für sie veranwortliche Staat zahlte jedes Jahr. Aber der Fraktionsvorsitzende der CDU stellte auch "mit Genugtuung" fest, daß die neue Mehrheit ebenfalls "Gorlebengelder" im Haushalt veranschlagte. Für ihn war dies das Zeichen, in der Vergangenheit richtig gehandelt zu haben. Ohne Gorleben kein Geld, ohne Geld keine Zukunft für Lüchow-Dannenberg, so die politische Logik. (aus: Gorleben Millionen - Wie man mit Steuergeldern Zustimmung kauft, von Karl Kassel und Jürgen Rehbein)

15 Jahre Widerstand

22.02.1992

Einen "Ball Pompoes" feiert der Widerstand am 22. Februar, dem Tag der Standortbenennung, in den Trebeler Bauernstuben. Anlass ist "15 Jahre Gorleben". Die Bauernstuben sind als Titanic hergerichtet, das symolisiert die absolute Sicherheit des Schiffes und der Atomanlagen.
"Wir bitten um galamäßige Bekleidung, Abendkleid und Frack wären besonders erwünscht, aber Einlass erfolgt auch mit Sakko und Cocktailkleid, denn vornehm geht die Welt zugrunde (...)"

März

09.03.1992

Am 9. März fragt der niedersächsisch-bremische Bund der Steuerzahler brieflich beim Finanzministerium in Hannover an, welchen konkreten Zwecken die "Gorleben Gelder", Ausgleichszahlungen für "unmittelbare Sonderbelastungen für besondere Einrichtungen des Bundes" nach Artikel 106 des Grundgesetzes, eigentlich dienen und wer ihre Verwendung kontrolliert.

April

Anfang April

In Gorleben kann ein "Erfolg des harten Ringens um den Geldsegen besichtigt werden": Bürgermeister Krüger eröffnet Mitte April in dem 623 Seelen zählenden Dorf eine neue Mehrzweckhalle – nur mit Eigenmitteln finanziert, verkündete er. 6,5 Millionen Mark hat das Prunkstück gekostet. Gorlebens Bürgermeister Herbert Krüger: Man sei dafür gewesen, bestimmte Aufgaben bei der Entsorgung der deutschen Atomkraftwerke zu übernehmen und habe dafür als Ausgleich finanzielle Forderungen an den Bund, das Land Niedersachsen und an die Energiewirtschaft gestellt.

Mai

12.05.1992

Am 12. Mai werden die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen der illegalen Einlagerung von Atommüllfässern mit falsch deklariten Abfällen aus dem niederländischen Mol (Transnuklearskandal, 1987) eingestellt.

28.05.1992

"Wunde.r.punkte Wendland" lädt zwischen Himmelfahrt und Pfingstmontag (28. Mai - 8. Juni) in den Landkreis zu zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen ein. An den Wunde.r.punkten zwischen Banzau, Schnackenburg und Sammatz öffnen Künstler*innen ihre Höfe oder Werkstätten und stellen ihre Arbeiten und ihr Leben vor. Im Reisebegleiter wird zudem auf die "wunde punkte" hingewiesen: Gorleben. Am "Trafohäuschen" gibt es an einigen Tagen Informationen zu den Atomanlagen. Ab Schreyan wird am 28. Mai eine Sight-Seeing-Tour zu den "wunden- und wunderbaren Punkten des 15-jährigen Widerstands" angeboten. In den Trebeler Bauernstuben zeigt die Wendländische Filmkooperative "Die Herren machen es selbst, daß ihnen der arme Mann feynd wird" (28. Mai) und "Zwischenzeit" (30. Mai).

Am 5. Juni wird in Gorleben das Hörbild "Alles gesagt" über 15 Jahre Widerstand aufgeführt:

"Die Mauern der Endlagerbaustelle geben die Kulisse ab für ein Hörereignis, das die vergangenen fünfzehn Jahre auf besondere Weise wiederspiegelt: Leserbriefe und Anzeigen der Elbe-Jeetzel-Zeitung werden mit einer eigens hierfür komponierten Musik zu einem Hörbild montiert, dessen inhaltlicher Bogen sich von der Standortbenennung über den legendären Treck, die Freie Republik Wendland, die Auseinandersetzung um die WAA-Draghan bis hin zum un-heilsamen Schon von Tschernobyl spannt. Die in Deutschland wohl einzigartige öffentliche Auseinandersetzung in den Leserbriefspalten einer Heimatzeitung zeichnet vor allem die Veränderung in den Köpfen nach. Sie spiegelt die Wut und die Entschlossenheit der Menschen wieder, aber auch die Spuren der Ermüdung die das Auf und Ab der Ereignisse in ihnen hinterlassen hat." (aus: Reisebegleiter 1992)

Juni

11.06.1992

Die Brennelementlager Gorleben GmbH (BLG) stellt am 11. Juni beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) einen über die bisherigen Genehmigungsanträge hinausgehenden und die genehmigten Sachverhalte einschließenden Antrag: Auf maximal 420 Stellplätzen der Lagerhalle sollen kernbrennstoffhaltige Abfälle mit insgesamt maximal 3800 Mg Schwermetallmasse und einer maximalen Gesamtaktivität von 2 x 1020 Bq sowie einer maximalen Gesamtwärmeleistung von 16 MW in Form bestrahlter Leichtwasserreaktor- Brennelemente in Transport- und Lagerbehältern der Bauarten CASTOR Ia, Ib, Ic, IIa, und V/19 sowie Kernbrennstoffe in Form verglaster hochradioaktiver Abfälle aus der Wiederaufarbeitung in Frankreich in Transport- und Lagerbehälter der Bauart CASTOR HAW 20/28 CG und TS 28V für den Zeitraum von maximal 40 Jahren aufbewahrt werden. Das BfS erteilt die Genehmigung am 02.06.1995.

23.06.1992

Am 23. Juni endet der letzte der Turmbesetzer*innenprozesse wie die vorherigen mit einer Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer Geldbuße. Am 21. und 22. Juni 1990 besetzten 14 Aktivist*innen beide Endlagerschächte des Bergwerks Gorleben und erreichten einen kurzen Betriebsstillstand. Im Nachgang verklagt die Bundesregierung die AktivistInnen auf über 100.000 DM Schadensersatz.

25.06.1992

Mit der Einlagerung eines ersten "Castor"-Behälters aus dem stillgelegten Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop wird am 25. Juni das Zwischenlager im nordrhein-westfälischen Ahaus in Betrieb genommen.

Juli

08.07.1992

Ab dem 8. Juli beginnt die vorher bereits öfter angekündigte Auslagerung der 1.222 Atommüllfässer aus dem Zwischenlager, die im Rahmen des "Transnuklearskandals" nach Gorleben kamen. Am 6. August 1990 war die Beschlagnahmung aufgehoben worden. Alle 1.222 Fässer werden in 34 Auslagerungschargen bis 1998 hauptsächlich in das Forschungszentrum Jülich gebracht, um dort den Inhalt zu bestimmen.

August

28.08.1992

Am 28. August bekräftigt das niedersächsische Umweltministerium unter Leitung von Monika Griefahn (seit 1992 SPD), dass die Standsicherheit der Schächte in Gorleben durch die Laugenzuflüsse nicht beeinträchtigt werden.

September

Anfang September

Im September gibt der Haushaltsausschuß des Bundestages die bis dahin gesperrte, vorerst letzte Rate der "Akzeptanzmittel" ("Gorleben-Gelder") frei: 30 Millionen DM fließen an die rot-grüne Regierung in Niedersachsen.

08.09.1992

Am 8. September fordert das niedersächsische Umweltministerium für das Erkundungsbergwerk eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), vorher dürfe nicht weiter abgeteuft werden. Da der Rahmenbetriebsplan 1990 und damit vor Inkrafttreten einer EU-Richtlinie erlassen wurde, die das Instrument der UVP mit Bürgerbeteiligung vorschreibt, war bislang - und wäre auch zukünftig - auf der Grundlage dieses Plans keine UVP und keine formelle Bürgerbeteiligung erforderlich, um Arbeiten am Standort Gorleben weiterzuführen. Die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE) droht erneut mit Klage.

Oktober

19.10.1992

Der Gorlebener Gemeinderat spricht sich am 19. Oktober mit 4:3 Stimmen für die von der BLG beantragte Erweiterung des Zwischenlagers aus.

22.10.1992

Am 22. Oktober kündigt die BLG an, dass "in den letzten Wochen des Jahres" mit dem ersten Castortransport in das Zwischenlager Gorleben zu rechnen sei.

23.10.1992

Niedersachsens Umweltministerin Griefhan lehnt am 23. Oktober Einlagerungen in das Zwischenlager in Gorleben ab.

November

15.11.1992

Am 15. bis 16. November findet die Herbstkonferenz der Anti-Atom-Bewegung in Schnackenburg statt. 80 Delegierte nehmen teil.

Informationsstelle Gorleben wiedereröffnet

20.11.1992

Am 20. November öffnet die lange verwaiste "Informationsstelle Gorleben" in Gartow unter Leitung von Gudrun Scharmer, Vorsitzende der Rechtshilfegruppe Gorleben.

Dezember

Anfang Dezember

Im Dezember überweist die Bundesregierung vereinbarte 12 Millionen DM "Gorleben Gelder" an den Landkreis Lüchow-Dannenberg.

Anfang Dezember

In Gorleben und Gartow lassen sich die Gemeinderäte Ende des Jahres ihre direkten Beihilfen von der Atomwirtschaft aufstocken, wegen des Geldwertverlustes, wie Samtgemeindedirektor Lawin sagt. In Lüchow wirft Oberkreisdirektor Klaus Poggendorf der bunten Kreistags-Koalition "Unverantwortlichkeit" vor, weil die, jedenfalls bisher noch, auf weiteres Gorlebengeld verzichten will.

Anfang Dezember

Ende 1992 erreicht das Abteufen der Schächte Gorleben I und II eine Tiefe von 340 Meter.

13.12.1992

Am 13. Dezember wird mit der Erstellung des Schachtinnenausbaus in Schacht Gorleben I begonnen.

14.12.1992

Zur tatsächlichen Eröffnung der "Informationsstelle Gorleben" am 14. Dezember bekommt die anwesende niedersächsische Umweltministerin Griefahn einen kleine Castor-Behälter überreicht. Am gleichen Tag wird der Verladekran für die Castorbehälter in Dannenberg besetzt.

16.12.1992

Wegen der Blockade des Zwischenlagers Gorleben werden am 16. Dezember sechs auf dem Weg von Forschungszentrum Karlsruhe nach Gorleben befindliche Atommüllbehälter vom Typ "Mosaik" auf LKW-Tiefladern in das niedersächsische Atomkraftwerk Unterweser / Esenshamm umgeleitet.

Dömitzer Brücke blockiert

18.12.1992

Am 18. Dezember blockieren Bauern mit ca. 300 Traktoren die Dömitzer Brücke über die Elbe, eine der wichtigsten Verkehrsadern, die die Landkreise Dömitz und Lüchow-Dannenberg verbindet. Die Landwirte protestieren gegen die Atommüll-Einlagerungen und das GATT-Abkommen (General Agreement on Tarifs and Trade, Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen).

Die ganze Geschichte: