GORLEBEN-CHRONIK

Das Jahr 1993

CASTOR-HALLE-LUJA und Endlagerhearing

Sitzblockaden gegen Atommüll-Lieferungen, "Wege aus der Gorleben-Salzstock-Sackgasse", Energiekonsens-Gespräche und hohes Bussgeld gegen Turmbesetzer:innen.


1993 kann kein Castor-Transport nach Gorleben rollen, weil das Schweißverfahren für das Aufbringen eines Ersatzdeckels auf einen Behälter bei dessen Undichtigkeit fehlerhaft ist.

Januar

Ab Januar lässt das Bergamt Celle nur noch Maßnahmen der Sicherung und Unterhaltung der Schächte Gorleben I und II zu.

01.01.1993

Am 1. Januar übersteigen ca. 300 DemonstrantInnen anläßlich des "Neujahrsempfanges" die Mauer des Bergwerks Gorleben mit Hilfe einer Holztreppe. Sie "verplanen das Bergwerksgelände für die nachatomare Nutzung neu".

10.01.1993

Am 10. Januar wird der feste Schachtausbau im Schacht Gorleben 1 in 345 m Tiefe begonnen.

13.01.1993

Niedersachsens Innenminister Glogowksi bittet 200 AKW-Gegner:innen bei einer Veranstaltung vergeblich um "erträgliche" Aktionen gegen Atommülltransporte.
Quelle: Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv II, LAIKA-Verlag

15.01.1993

Wann der erste Castor-Behälter nach Gorleben rollt, das kann Bundesumweltminister Klaus Töpfer im Gespräch mit der Elbe-Jeetzel Zeitung nicht zu sagen; wie er es sehe, werde es jedoch im Januar einen solchen Transport "mit Sicherheit" nicht geben. Grundsätzlich sieht Töpfer aber "keine Hemmnisse", die gegen das Einbringen der Behälter ins Lager der BLG sprechen. Keinesfalls solle durch Castor-Transporte seitens der Bundesregierung Stärke demonstriert werden, um zu zeigen: "Guckt mal, wir können das durchsetzen!"

Zur Endlagersuche sagt er: "Wir wollen die Entwicklung auch weiterer Standorte für Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe voranbringen, unter Umständen auch in europäischer Kooperation". Das solle aber geschehen, ohne daß die Erkundungsarbeiten in Gorleben dadurch beeinträchtigt werden.
Quelle: Elbe-Jeetzel Zeitung vom 17.2.93

Proteste gegen Atommüll-Lieferung

19.01.1993

Am 19. Januar räumt ein "massives Polizeiaufgebot" Barrikaden und Menschen in einer achtstündigen Sitzblockade vor dem Zwischenlager Gorleben. Sie machen damit den Weg frei für die Einlagerung der seit Dezember 1992 im Atomkraftwerk Unterweser "versteckten" sechs Atommüllbehälter vom Typ "Mosaik" auf LKW-Tiefladern aus dem Forschungszentrum Karlsruhe.

Um 1 Uhr nachts verläßt der radioaktive Müll das Atomkraftwerk Unterweser Esenshamm, wo er sich seit vor Weihnachten befand, nachdem er auf seinem Weg von Karlsruhe nach Gorleben gestoppt worden war. Der Transport hält ab etwa 4.45 Uhr für längere Zeit auf dem Truppenübungsplatz in Munster. Unterdessen befinden sich bereits zu diesem Zeitpunkt rund 200 Atomkraftgegner:innen am Zwischenlager, um die Einfahrten zu blockieren. Zahlreiche Straßenbarrikaden aus Holzstämmen werden auf den Zufahrtswegen errichtet – einige der Barrikaden stehen in Flammen. Gegen 10.30 Uhr beginnen Polizeibeamte, die ersten Straßenbarrikaden abzuräumen.

Gegen 13 Uhr wird bekannt, daß zwei Container von Rondel aus über den Mastenweg rollen, einen Waldweg zwischen Endlagerbergwerk und Zwischenlager. Dort wird aus etwa 200 blockierenden Atomkraftgegnern und Holzstämmen ein Knäuel, der den Transport wiederum stoppt. In der ersten Reihe dieser Blockade sitzen auch: Mitglieder der "Initiative 60" sowie Lüchow-Dannenbergs Landrat Christian Zühlke (SPD). Gegen 13.30 Uhr wird nach mehrfacher Aufforderung der Polizei, den Weg zu räumen, die Blockade aufgelöst: Atomkraftgegner werden weggeschleift, an den Haaren gerissen, abgedrängt.

Der umstrittene Atomtransport und die Proteste fordert nach Polizeiangaben 14 Verletzte, darunter 13 Polizisten. Etwa 800 Beamte aus Niedersachsen begleiten die Container mit den sechs Mosaikbehältern, deren Inhalt in den 80er Jahren auch im belgischen Mol lagerte – dem Ort, der unweigerlich mit dem Transnuklearskandal in Verbindung gebracht wird. Um 14.25 Uhr waren die beiden Container im Zwischenlager.

BI-Sprecher Wolfgang Ehmke spricht von einem "martialischen Materialaufgebot der Polizei", das einschüchtern sollte. "Wir sollten, so der Innenminister jüngst in Gorleben, Aktionen erträglich gestalten. Unerträglich aber ist die Strategie der Einschüchterung."
Quelle: u.a. Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv II, LAIKA-Verlag, Elbe-Jeetzel Zeitung

Februar

01.02.1993

Im Gartower Rathaus klauen AKW-Gegner:innen öffentlich ausgelegte Dokumente zum Zwischenlager und schmeißen sie aus dem Fenster. Über den Fortgang der Geschichte berichtet das Bundesamt für Strahlenschutz in einer Pressemitteilung: "Offensichtlich warteten dort Helfer, die mit den Unterlagen in einem Kfz zu entkommen versuchten. Ein weiterer BfS-Mitarbeiter versuchte zwar, die Abfahrt des Fahrzeuges zu verhindern. Sein Versuch war jedoch erfolglos. Er wurde dabei verletzt."
Quelle: Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv II, LAIKA-Verlag

17.02.1993

Anfang Februar werden bei einer routinemäßigen Kontrolle im Schacht I des Erkundungsbergwerks für ein atomares Endlager in Gorleben zwei weitere Schadstellen entdeckt. 63 solcher Schadstellen, so erfährt die Elbe-Jeetzel Zeitung im Landesumweltministerium, seien bereits bekannt. Die Risse in den Steinen würden durch den Gebirgsdruck verursacht.

"Müssen noch drei weitere, zehn, zwanzig, dreißig oder mehr Betonformsteine reißen, bis der Zustand als riskant bezeichnet werden kann?" fragt die Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) das rot-grüne Umweltministerium in Hannover. Die BI will in einem Brief an Staatssekretär Horn vom Landesumweltministerium wissen, wie dort die neuerlichen Schäden eingeschätzt werden. "Offensichtlich halten die Betreibergesellschaft und das Umweltministerium dieses Vorkommnis für eine Bagatelle", mutmaßt die BI.
Quelle: Elbe-Jeetzel Zeitung vom 17.2.93

März

Im März beginnen unter Ausschluß der kritischen Öffentlichkeit Beratungen zwischen den Parteien CDU, CSU, F.D.P., SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dem Bundesministerium für Wirtschaft und der Elektrizitätswirtschaft Gespräche über einen "Energiekonsens", im Wesentlichen geht es dabei um die weitere Nutzung der Atomenergie. Von der Bundesregierung, den Regierungsparteien, der Industrie und der Elektrizitätswirtschaft auf der einen Seite wird die "Unverzichtbarkeit der Kernenergie" beschworen.

06.03.1993

Der Erörterungstermin zum geplanten nuklearen Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle im "Schacht Konrad" bei Salzgitter ist nach 75 Verhandlungstagen beendet worden. Nach Ansicht des antragstellenden Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) hat der Termin erwiesen, daß die ehemalige Erzgrube für radioaktive Abfälle "hervorragend geeignet" sei. Kritiker:innen weisen diese Erklärung entschieden zurück.
Quelle: ENERGIE-CHRONIK, udo-leuschner.de

30.03.1993

Aus Protest gegen die von der Brennelementlager Gorleben GmbH (BLG) im Juni 1992 beantragten Erweiterung des Zwischenlagers Gorleben mauern am 30. März 40 Demonstrant:innen das Tor des Zwischenlagers zu. Einen Tag vor Ende der Auslegung der Planungsunterlagen starten die Atomkraftgegner:innen die Aktion. "Nicht mit uns", heißt es in einem Handzettel. Durch die weiteren Pläne solle das Gorlebener Zwischenlager zu einer "Allzweck-Deponie für alle Arten hochradioaktiven Chemiemülls" gemacht werden". Man wolle der Atomindustrie "Steine in den Weg legen".

Die Werksfeuerwehr reißt das Bauwerk nach einer Stunde wieder ab.
Quelle: u.a. Elbe-Jeetzel Zeitung

31.03.1993

Am 31. März erhebt der Gartower Samtgemeinderat Einwendung gegen die geplante Erweiterung des Gorlebener Zwischenlagers.

April

Schritt für Schritt werde der Atomstandort Gorleben auch von der jetzigen rot-grünen Landesregierung festgeschrieben. Dies kritisiert "mit Wut im Bauch" die Bürgerinitiative Umweltschutz in einem Brief an die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn (SPD) und ihren Chef, Ministerpräsident Gerhard Schröder. Öffentlich bekannt wurden Äußerungen der Landtagsgrünen, daß es bis zur nächsten Wahl wohl noch eine Reihe von Entscheidungen des Umweltministeriums geben könnte, die im Widerspruch zur Koalitionsvereinbarung stehen.

Der Grünen-Abgeordnete Hannes Kempmann befürchtet, dass Anfang 1994 noch einmal per Hauptbetriebsplan der Weiterbau am geplanten Endlager in Gorleben genehmigt werden könne und eine zweite Teilgenehmigung für die geplante Pilotkonditionierungsanlage (PKA) vorbereitet werden.

Auf Anfrage der Elbe-Jeetzel Zeitung dementiert das Umweltministerium, daß es irgendwelche Planungen gebe, den Hauptbetriebsplan auch für 1994 zuzulassen.
Quelle: Elbe-Jeetzel Zeitung vom 2.4.1993

01.04.1993

Die dritte Anlieferung mit Atommüllfässern aus der belgischen Atomanlage Mol seit Juni 1991 erreicht am Vormittag um 10.15 Uhr das Gorlebener Zwischenlager. Dieser Transport beinhaltet sechs Gußmosaikbehälter in vier Containern auf zwei Lkw. Es soll sich um Verdampferkonzentrate schwachradioaktiven Mülls handeln, der im Kernforschungszentrum Karlsruhe konditioniert wurde. Zugeordnet werden die Inhalte nach Informationen des Landesumweltministeriums dem Atomkraftwerk Stade. Die Abfälle lagerten aber auch in den 80er Jahren im belgischen Mol dem Ort, der immer wieder in Verbindung gebracht wird mit dem Transnuklear-Skandal.

Knapp zwanzig Atomkraftgegner:innen versammeln sich am Zwischenlagertor, als der Transport anrollt. Mehrere hundert Polizisten sind im Einsatz.
Quelle: Elbe-Jeetzel Zeitung vom 2.4.1993

07.04.1993

Die Auslagerung der Atommüllfässer aus dem "Transnuklearskandal", mit der im Juli 1992 begonnen wurde, stockt ab dem 7. April. Für die Untersuchung der ersten neun Fässer aus Gorleben fehlt im Forschungszentrum Jülich ein Spezialbohrer.

Mai

03.05.1993

Hans Berger, Chef der Gewerkschaft IG Bergbau und Energie besucht Gorleben und macht seine seine Position deutlich: Gorleben soll weiterhin für ein mögliches atomares Endlager untersucht werden. Eine Aussage mit nicht nur gewerkschaftlichem Gewicht, sondern auch politischem Tiefgang: Immerhin sitzt Berger in Bonn auch als Gewerkschaftsvertreter bei den Kernenergiekonsensgesprächen am Tisch. Die IG Bergbau und Energie favorisiert: neben Gorleben sollten auch andere Standorte untersucht werden, nach 40 Jahren sollte der Betrieb der Atomkraftwerke enden und künftig müsse die Option auf die Atomenergie offengehalten werden.
Quelle: Elbe-Jeetzel Zeitung

03.05.1993

Die niedersächsischen Christdemokraten würden auf die umstrittene Pilot-konditionierungsanlage (PKA) in Gorleben verzichten und auch einem Einfrieren der Untersuchungen im Salzstock Gorleben zustimmen.

Für einen solchen Energiekonsens auf Niedersachsenebene müßte sich jedoch die SPD auch bewegen, so Grill in einem Gespräch mit der EJZ: Minsterpräsident Gerhard Schröder müßte im Gegenzug die Option zum Bau eines "standortunabhängigen katastrophenfreien Reaktors" einräumen, man müsse sich über die Regellaufzeiten von Atomkraftwerken einigen und Schröder müsse dem Bau eines Endlagers für schwach- und mittelaktive Abfälle im Schacht Konrad bei Salzgitter sowie der Untersuchung für ein atomares Endlager an einem Alternativstandort zustimmen, so Grill.

Bei einer solchen Alternativuntersuchung könne man die Arbeiten in Gorleben bis 2005 aussetzen und dann die beiden Standorte vergleichen, obwohl die CDU dem Standort Gorleben nach wie vor Priorität einräume, betont CDU-Umweltexperte Kurt-Dieter Grill. Und: Die Arbeiten in Gorleben dürften erst unterbrochen werden, wenn ein anderer Standort untersucht werde.
Quelle: Elbe-Jeetzel Zeitung

20.05.1993

Zwischen dem 20. und 31. Mai findet eine Neuauflage der "Wunde.r.punkte" Wendland statt. An den Atomanlagen lädt das "Gorlebener Gebet" zu Andachten am 20., 23. und 30 Mai. In Gedelitz findet ein Camp der BI Umweltschutz statt. "Laßt uns eine Geschichte schreiben", dazu lädt die BI auf der Wiese des Gasthofes Santelmann ein. Mit gesammelten Wörtern, "guten und schlimmen Wörtern", wurde der Anfang einer Geschichte geschrieben, die fortgesetzt werden soll.

25.05.1993

Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU verabschiedet Leitlinien zur Energiepolitik: die vorzeitige Stillegung von derzeit in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke wird abgelehnt, die Errichtung neuer AKW müsse zugelassen werden, die Endlagerprojekte Gorleben, Morsleben und Konrad müßten "zügig und ohne weitere politischen Behinderungen" weitergeführt werden.
Quelle: ENERGIE-CHRONIK, udo-leuschner.de

Juni

09.06.1993

Am 9. Juni besucht die niedersächsische Umweltministerin Griefahn Hitzacker. 100 Gorleben-GegnerInnen, u.a. von der Bäuerlichen Notgemeinschaft protestieren.

Mitte Juni

Rußland ist derzeit nicht bereit, nukleare Abfälle aus Deutschland aufzunehmen. Dies erklärt der stellvertretende Minister für die Atomenergiewirtschaft, Jewgeni Reschetnikow, vor deutschen Journalisten in Moskau.
Quelle: ENERGIE-CHRONIK, udo-leuschner.de

126.901,10 DM

23.06.1993

Am 23. Juni fondert das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) von den 14 Aktivist*innen ("Turmbesetzer*innen"), die 1990 die Fördertürme in Gorleben kurzfristig besetzt hatten und damit einen Stillstand der Arbeiten erzwingen konnten, Schadensersatz in Höhe von 126.901,10 DM.

30.06.1993

Am 30. Juni verlassen die GRÜNEN die im März begonnen Konsensgespräche. Die Bundesregierung spricht vom "Wegfall der Extremposition".

Juli

In einem Positionspapier für die vorige, dritte Runde der Energiekonsensgespräche erhebt das Bundesumweltministerium die Forderung, dass neben dem Salzstock Gorleben für ein mögliches atomares Endlager in Deutschland auch andere Standorte mit weiteren Gesteinsformationen untersucht werden sollen. Unter dem Titel "Zwischenergebnis zum Komplex Kernenergie" schlägt Umweltminister Töpfer erneut vor, neben Gorleben auch weitere Standorte in Deutschland zu untersuchen. Die im Bau befindliche Pilotkonditionierungsanlage (PKA) in Gorleben sei "eine sinnvolle Vorbereitung der weiteren Entsorgung im Rahmen der direkten Endlagerung". Gleichzeitig müßten weitere Zwischenlagerkapazitäten für hochaktive Abfälle bis zum Jahr 2000 geschaffen werden.

Ein anderer Kernpunkt ist aber auch: weiterhin die Option auf Atomenergie, der Neubau von Reaktoren "in größerem Umfang", der sich "etwa Mitte des nächsten Jahrzehnts entscheiden" werde.

Immer wieder biete Klaus Töpfer den Verzicht auf das Endlagerprojekt in Gorleben an, hält die Bürgerinitiative Umweltschutz in einer Stellungnahme fest.
Quelle: Elbe-Jeetzel Zeitung vom 7.7.1993

06.07.1993

Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder und seine Umweltministerin Griefahn fordern die Bundesregierung auf, nach neuen Standorten für ein Endlager zu suchen, statt weiter auf Gorleben zu setzen. Schröder schlägt dabei vor, Granitgestein in Süddeutschland auf seine Eignung untersuchen zu lassen.
Quelle: ENERGIE-CHRONIK, udo-leuschner.de

22.07.1993

In einer schriftlichen Stellungnahme vom 22. Juli stellt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) fest:
"Die Beschränkung der Erkundung auf den nordöstlichen Teil des Salzstocks wäre ein neues Vorhaben, für das neue Betriebsplanverfahren (nach Ansicht der Bergbehörde mit UVP [Umweltverträglichkeitsprüfung mit Beteiligung der Öffentlichkeit]) durchgeführt werden müßten. Das würde nach der derzeitigen Haltung der niedersächsischen Bergbehörde zu einer längeren Unterbrechung der Erkundungsarbeiten führen. Unter dieser Randbedingung bleibt lediglich zu versuchen, die Arbeiten auf der derzeitigen Planungsgrundlage fortzuführen und gleichzeitig alle Anstrengungen zu unternehmen die fehlenden Salzrechte zu erlangen."

27.07.1993

Am 27. Juli macht die Fahrrad-Sternfahrt zum Umweltfestival in Magdeburg Station in Gorleben. 200 Jugendliche klettern über die Mauern um das geplante Endlagerbergwerk und machen "einen Schachtbesuch". Die Gruppe war zuvor auch auf das Gelände der Zwischenlagerbetreiberin BLG gelangt und hatte sich vom Wall aus die Zwischenlager sowie die entstehende Pilotkonditionierungsanlage angesehen.

Ihren Protest gegen die Gorlebener Atomanlagen generell unterstreicht die Bürgerinitiative Umweltschutz (BI). Dieter Schaarschmidt von der BI, der die „Besuchergruppe" führt und informiert, fordert, daß die Mahnbescheide über rund 127 000 DM gegen die Schachtbesetzer von vor drei Jahren zurückgezogen werden. Den derzeitigen Bau im Erkundungsbergwerk bezeichnet er als illegal.
Quelle: u.a. Elbe-Jeetzel Zeitung

27.07.1993

In einem Bericht, der dem Haushaltsausschuß des Bundestags vorgelegt wird, beanstandet der Bundesrechnungshof, daß die Wiederaufarbeitung nuklearer Brennelemente "mehr als doppelt so teuer" wie die direkte Endlagerung komme. Sie sei deshalb "wirtschaftlich nicht mehr vertretbar". Auch rechtlich stünde schon jetzt einer direkten Endlagerung der Brennelemente nichts im Wege, da das geltende Atomgesetz den dort vorgeschriebenen Vorrang der Wiederaufarbeitung von der wirtschaftlichen Vertretbarkeit des Verfahrens abhängig mache.
Quelle: ENERGIE-CHRONIK, udo-leuschner.de

August

01.08.1993

Auf einer Infoveranstaltung am 1. August zu den am 23. Juni ergangenen Mahnbescheiden bekunden die 14 Turmbesetzer*innen, Bundesumweltminister Töpfer "bekommt keinen Pfennig".

10.08.1993

Am 10. August stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen die Betreiberin Brennelementlager Gorleben GmbH (BLG) wegen illegaler Atommüllagerung ein.

12.08.1993

Rund 100 Demonstranten blockieren die Zufahrt zum Zwischenlager in Gorleben, um die Einlagerung von schwach radioaktiven Abfällen zu verhindern, bei denen es sich nach Angaben des niedersächsischen Umweltministeriums um Verdampferkonzentrate aus dem Atomkraftwerk Stade handelt. Rund 250 Polizisten tragen die Demonstranten fort und machen die Einfahrt frei.
Quelle: ENERGIE-CHRONIK, udo-leuschner.de

13.08.1993

Am 13. August werden weitere fünf Behälter mit schachradioaktivem Müll in das Zwischenlager Gorleben gebracht. 300 Polizist:innen müssen dafür etwa 100 Sitzblockierer:innen abräumen.

13.08.1993

Am 13. August ist der Innenausbau von Schacht 1 des Erkundungsbergwerks Gorleben vollständig fertiggestellt.

September

"Abreißen statt erweitern"

06.09.1993

Zwischen dem 6. und 9. September findet in der Gorlebener Mehrzweckhalle der Erörterungstermin für die Nutzungserweiterung des Zwischenlagers statt.

Die BI hatte einen Teil der insgesamt 14 000 Einwendungen gegen die geplante Erweiterung des Zwischenlagers gesammelt, nimmt allerdings an dem atomrechtlichen Erörterungstermin in Gorleben nicht teil. Der Grund: Durch die Erörterung ändere sich "überhaupt nichts", das Ganze habe "bloß eine Alibifunktion", so BI-Sprecherin Marianne Fritzen. Diese Nichtteilnahme war sichtbar: knapp 20 Menschen sitzen auf den Zuhörerbänken in der großen Mehrzweckhalle, am Tisch der Einwender hatten Rechtsanwälte, Vertreter von Greenpeace, Sachverständige der Gruppe Ökologie in Hannover, Politiker der Städte Lenzen, Dannenberg und der Samtgemeinde Dannenberg Platz genommen.

Im Gegensatz zum Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), das Genehmigungsbehörde ist, meinen die Einwender:innen, daß die Zwischenlagererweiterung nicht genehmigt werden könne, solange es kein "belastbares" Entsorgungskonzept gibt. Aus diesem Grund auch müsse das Thema Entsorgung zu Beginn der Erörterung behandelt werden. Das BfS hatte diesen Punkt aber am Schluß unter "Fragen, die nicht Gegenstand des Verfahrens sind" in den Ablaufplan der Erörterung eingeordnet.

Zu Beginn der Veranstaltung steigen ca. 15 Aktivist*innen der Brennelementlager Gorleben GmbH unter dem Motto "abreißen statt erweitern" aufs Dach. Sie beginnen "sehr sorgfältig" mit dem Abdecken von Dachziegeln.

07.09.1993

"Überflüssig wie ein Kropf" ist nach Meinung von Landesumweltministerin Monika Griefahn das Transportbehälterlager für radioaktive Abfälle in Gorleben. Es sei ein "Überbleibsel einer verfehlten Atompolitik". Weder der Bundesregierung noch der Betreibergesellschaft sei es in den vergangenen zehn Jahren gelungen, das leerstehende Lager mit abgebrannten Brennelementen zu füllen. Das zeige deutlich, daß es für das Lager keinen Bedarf gebe. Griefahn kritisierte, daß Bundesumweltminister Töpfer an der atomaren Wiederaufarbeitung im Ausland festhalte, was bedeute, daß die verbrauchten Brennelemente ohnehin wieder aus Gorleben abtransportiert werden müßten. Der Umweg über diesen Standort ziehe eine unnötige und vermeidbare Strahlenbelastung für die Menschen der Region nach sich.

Die Landesregierung werde alle Möglichkeiten nutzen, um die Einlagerung von Behältern zu verhindern. Bereits existierende Abfälle sollten in den Zwischenlagern der Atomkraftwerke aufbewahrt werden.
Quelle: Elbe-Jeetzel Zeitung

09.09.1993

Das Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld hat es auf Anweisung des niedersächsischen Umweltministeriums abgelehnt, die weitere Schachtabteufung zur Untersuchung des Gorlebener Salzstocks auf seine Eignung als Endlager für hochradioaktive Abfälle zu genehmigen. Die abgelehnten Anträge sahen vor, die beiden Erkundungsschächte, die eine Tiefe von 350 Meter erreicht haben, bis 850 Meter abzuteufen. Die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn (SPD) begründet die Ablehnung mit "geologischen Mängeln" und einem Rechtsgutachten, wonach die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe (DBE) nicht über die erforderlichen Abbaurechte für das im Erkundungsbereich lagernde Salz verfügt. Die DBE habe auch keine Aussicht, jemals in Besitz des Salzstocks zu kommen, da der Inhaber der Salzrechte, Andreas Graf Bernstorff, als entschiedener Gegner der Atomenergie einen Verkauf ablehnt und im Wege des hier maßgeblichen bergrechtlichen Verfahrens nicht zu enteignen ist.
Quelle: ENERGIE-CHRONIK, udo-leuschner.de

10.09.1993

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und die Gesellschaft für den Betrieb und Bau von Endlagern (DBE) reichen Klage gegen den Stopp der Erkundungsarbeiten ein.

CASTOR-HALLE-LUJA

11.09.1993

Am 11. und 12. September findet vor dem Zwischenlager unter dem Motto "CASTOR-HALLE-LUJA" eine Blockade der Zufahrt statt. Seit genau zehn Jahren steht die Halle leer, in der eigentlich abgebrannte Brennelemente aus Atomkraftwerken, verpackt in sogenannte Castor-Behälter, lagern sollen. Eine Podiumsdiskussion zu den Energiekonsensgesprächen wird neben Kinderfest, Lifemusik und Theater durchgeführt sowie ein mittelalterlicher Rammbock gebaut.

15.09.1993

Am 15. September werden die Arbeiten in Schacht Gorleben 1 wegen fehlender Genehmigung zum Weiterteufen eingestellt.

Endlager-Hearing

21.09.1993

Zwischen dem 21. und 23. September 1993 findet in Braunschweig ein "Internationales Endlager-Hearing" des Niedersächsischen Umweltministeriums statt. Das Ministerium will "die wissenschaftliche Basis zu seiner Meinungsbildung verbreitern", etwa 20 Wissenschaftler:innen sind eingeladen.
Unter anderem beschreibt Prof. Dr. Eckhard Grimmel in einem Statement "Wege aus der Gorleben-Salzstock-Sackgasse". Er unterstreicht, dass "aus geobiologischer Sicht die fortgesetzte atomindustrielle Erzeugung großer Mengen radioaktiver Abfälle bzw. bestrahlter Brennelemente und deren Endlagerung in der Erdkruste grundsätzlich nicht zu verantworten" sei. Er fordert für ein Endlager ein "Multibarrierensystem" aus "leistungsfähigen technischen und natürlichen Barrieren".

Grimmel stellt fest, dass seit dem Hearing für die Niedersächsische Landesregierung endgültig feststehe, "daß der Salzstock Gorleben-Rambow als Endlager für radioaktive Abfälle ungeeignet ist".

Er empfiehlt zudem, die in Gorleben errichteten Zwischen- und Endlagergebäude in ein "Niedersächsisches Museumsdorf für technische Fehlentwicklungen des 20. Jahrhunderts" umzuwandeln, in dem vor allem die Gefährdung der Biosphäre durch den sogenannten Kernbrennstoffkreislauf erläutert und dokumentiert wird.


Laut aktuellen Planungen wird mit der Inbetriebnahme des Endlagers Gorleben im Jahre 2008 gerechnet.

24.09.1993

Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) sagt am 24. September vor erneuten Konsensgesprächen mit den Energieversorgern, "das Ziel des Atomausstiegs ist nicht verhandelbar".

Oktober

22.10.1993

In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion PDS / LINKE antwortet die Bundesregierung (CDU-regiert, Bundeskanzler Helmut Kohl) am 22. Oktober:

"Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Nutzung der Kernenergie (derzeit ausschließlich Leichtwasserreaktortechnik) auf der Basis des hockentwickelten Sicherheitsstandes in der Bundesrepublik Deutschland verantwortbar ist."

November

19.11.1993

Auf einer Veranstaltung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (die Elbe-Jeetzel Zeitung berichtet am 19. November) referiert der Geologe Prof. Gerd Lüttig. Er war ab 1970 Vizepräsident des "Niedersächsischen Landesamtes" sowie der späteren "Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe" (BGR). Im Auftrag der Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft untersuchte er zwischen 1972 und 1975 bundesweit 250 Salzstöcke für die Lagerung atomarer Reststoffe und kategorisierte diese in Klassen unterschiedlicher Eignung. Gorleben war in die dritte Kategorie gefallen und damit letzte Wahl gewesen.

Lüttig berichtet von der Standortentscheidung durch den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht:

"Auf die überraschte Nachfrage Lüttigs, dass dieser Salzstock nicht auf der von ihm erstellten Liste besonders geeigneter Salzstöcke stehe, habe Albrecht geantwortet, die Entscheidung habe andere Gründe. Die Geologen kämen später schon noch zu Wort.

Entscheidendes Motiv für Gorleben war nach Lüttigs Erinnerung Albrechts Wille, aufgrund des grenznahen Endlagerprojektes der DDR im Salzstock Morsleben mit der Benennung des ebenfalls dicht an der Grenze gelegenen Gorleben "die Ostzonalen richtig zu ärgern."

Lüttig erwähnte in diesem Zusammenhang einen Ratschlag von Albrechts Nachbar, eines pensionierten Bergassesors, der Gorleben ins Gespräch gebracht habe."

Dezember

22.12.1993

In einer Zeitungsanzeige erklären sich am 22. Dezember mehrere hundert Unterzeichner:innen solidarisch mit den 14 Turmbesetzer:innen, die für ihre Aktion über 126.000 DM Schadensersatz zahlen sollen.

29.12.1993

Im Prozess um den Baustopp äußert das Verwaltungsgericht Lüneburg am 29. Dezember Zweifel an der "Eilbedürftigkeit des Endlagerprojektes" Gorleben. Für Februar 1994 wird eine Anhörung angesetzt.

Die ganze Geschichte: