Gorleben-Chronik

Gorleben-Chronik - 1993

CASTOR-HALLE-LUJA und Endlagerhearing

Sitzblockaden gegen Atommüll-Lieferungen, "Wege aus der Gorleben-Salzstock-Sackgasse", Energiekonsens-Gespräche und hohes Bussgeld gegen Turmbesetzer*innen.


Anfang

1993 kann kein Castor-Transport nach Gorleben rollen, weil das Schweißverfahren für das Aufbringen eines Ersatzdeckels auf einen Behälter bei dessen Undichtigkeit fehlerhaft ist.

Januar

Anfang Januar

Ab Januar lässt das Bergamt Celle nur noch Maßnahmen der Sicherung und Unterhaltung der Schächte Gorleben I und II zu.

01.01.1993

Am 1. Januar übersteigen ca. 300 DemonstrantInnen anläßlich des "Neujahrsempfanges" die Mauer des Bergwerks Gorleben mit Hilfe einer Holztreppe. Sie "verplanen das Bergwerksgelände für die nachatomare Nutzung neu".

10.01.1993

Am 10. Januar wird der festen Schachtausbau im Schacht Gorleben 1 in 345 m Tiefe begonnen.

Sitzblockade gegen Atommüll-Lieferung

19.01.1993

Am 19. Januar räumt ein "massives Polizeiaufgebot" aus 800 Beamt*innen Barrikaden und 500 Menschen in einer Sitzblockade vor dem Zwischenlager Gorleben. Sie machen damit den Weg frei für die Einlagerung der seit Dezember 1992 im Atomkraftwerk Unterweser "versteckten" sechs Atommüllbehälter vom Typ "Mosaik" auf LKW-Tiefladern aus dem Forschungszentrum Karlsruhe.

März

Anfang März

Im März beginnen unter Ausschluß der kritischen Öffentlichkeit Beratungen zwischen den Parteien CDU, CSU, F.D.P., SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dem Bundesministerium für Wirtschaft und der Elektrizitätswirtschaft Gespräche über einen "Energiekonsens", im Wesentlichen geht es dabei um die weitere Nutzung der Atomenergie. Von der Bundesregierung, den Regierungsparteien, der Industrie und der Elektrizitätswirtschaft auf der einen Seite wird die "Unverzichtbarkeit der Kernenergie" beschworen.

Anfang März

Im März beginnen unter Ausschluß der kritischen Öffentlichkeit Beratungen zwischen den Parteien CDU, CSU, F.D.P., SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dem Bundesministerium für Wirtschaft und der Elektrizitätswirtschaft Gespräche über einen "Energiekonsens", im Wesentlichen geht es dabei um die weitere Nutzung der Atomenergie. Von der Bundesregierung, den Regierungsparteien, der Industrie und der Elektrizitätswirtschaft auf der einen Seite wird die "Unverzichtbarkeit der Kernenergie" beschworen.

30.03.1993

Aus Protest gegen die von der Brennelementlager Gorleben GmbH (BLG) im Juni 1992 beantragten Erweiterung des Zwischenlagers Gorleben mauern am 30. März 40 Demonstrant*innen das Tor des Zwischenlagers zu. Die Werksfeuerwehr reißt das Bauwerk nach einer Stunde wieder ab.

31.03.1993

Am 31. März erhebt der Gartower Samtgemeinderat Einwendung gegen die geplante Erweiterung des Gorlebener Zwischenlagers.

April

07.04.1993

Die Auslagerung der Atommüllfässer aus dem "Transnuklearskandal", mit der im Juli 1992 begonnen wurde, stockt ab dem 7. April. Für die Untersuchung der ersten neun Fässer aus Gorleben fehlt im Forschungszentrum Jülich ein Spezialbohrer.

Mai

20.05.1993

Zwischen dem 20. und 31. Mai findet eine Neuauflage der "Wunde.r.punkte" Wendland statt. An den Atomanlagen lädt das "Gorlebener Gebet" zu Andachten am 20., 23. und 30 Mai. In Gedelitz findet ein Camp der BI Umweltschutz statt. "Laßt uns eine Geschichte schreiben", dazu lädt die BI auf der Wiese des Gasthofes Santelmann ein. Mit gesammelten Wörtern, "guten und schlimmen Wörtern", wurde der Anfang einer Geschichte geschrieben, die fortgesetzt werden soll.

Juni

09.06.1993

Am 9. Juni besucht die niedersächsische Umweltministerin Griefahn Hitzacker. 100 Gorleben-GegnerInnen, u.a. von der Bäuerlichen Notgemeinschaft protestieren.

126.901,10 DM

23.06.1993

Am 23. Juni fondert das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) von den 14 Aktivist*innen ("Turmbesetzer*innen"), die 1990 die Fördertürme in Gorleben kurzfristig besetzt hatten und damit einen Stillstand der Arbeiten erzwingen konnten, Schadensersatz in Höhe von 126.901,10 DM.

30.06.1993

Am 30. Juni verlassen die GRÜNEN die im März begonnen Konsensgespräche. Die Bundesregierung spricht vom "Wegfall der Extremposition".

Juli

22.07.1993

In einer schriftlichen Stellungnahme vom 22. Juli stellt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) fest:
"Die Beschränkung der Erkundung auf den nordöstlichen Teil des Salzstocks wäre ein neues Vorhaben, für das neue Betriebsplanverfahren (nach Ansicht der Bergbehörde mit UVP [Umweltverträglichkeitsprüfung mit Beteiligung der Öffentlichkeit]) durchgeführt werden müßten. Das würde nach der derzeitigen Haltung der niedersächsischen Bergbehörde zu einer längeren Unterbrechung der Erkundungsarbeiten führen. Unter dieser Randbedingung bleibt lediglich zu versuchen, die Arbeiten auf der derzeitigen Planungsgrundlage fortzuführen und gleichzeitig alle Anstrengungen zu unternehmen die fehlenden Salzrechte zu erlangen."

27.07.1993

Am 27. Juli macht die Fahrrad-Sternfahrt zum Umweltfestival in Magdeburg Station in Gorleben. 200 Jugendliche klettern über die Mauern um das geplante Endlagerbergwerk und machen "einen Schachtbesuch".

August

01.08.1993

Auf einer Infoveranstaltung am 1. August zu den am 23. Juni ergangenen Mahnbescheiden bekunden die 14 Turmbesetzer*innen, Bundesumweltminister Töpfer "bekommt keinen Pfennig".

10.08.1993

Am 10. August stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen die Betreiberin Brennelementlager Gorleben GmbH (BLG) wegen illegaler Atommüllagerung ein.

13.08.1993

Am 13. August werden weitere fünf Behälter mit schachradioaktivem Müll in das Zwischenlager Gorleben gebracht. 300 Polizist*innen mussten dafür etwa 100 Sitzblockierer*innen abräumen.

13.08.1993

Am 13. August ist der Innenausbau von Schacht 1 des Erkundungsbergwerks Gorleben vollständig fertiggestellt.

September

"Abreißen statt erweitern"

06.09.1993

Zwischen dem 6. und 9. September findet der Erörterungstermin für die Nutzungserweiterung des Zwischenlagers statt. Zu Beginn steigen ca. 15 Aktivist*innen der Brennelementlager Gorleben GmbH unter dem Motto "abreißen statt erweitern" aufs Dach. Sie beginnen mit dem Abdecken von Dachziegeln. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg nimmt an der Erörterung mit der Begründung, es handle sich um eine "Alibiveranstaltung", nicht teil.

09.09.1993

Am 9. September stoppt die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn erneut die Erkundungsarbeiten im Bergwerk Gorleben. Laut eines Gutachtens sei die Enteignung des Grundstückseigentümers Grafen von Bernstorff nicht möglich. Einen Tag später reichen das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und die Gesellschaft für den Betrieb und Bau von Endlagern (DBE) Klage gegen den Stopp der Erkundungsarbeiten ein.

CASTOR-HALLE-LUJA

11.09.1993

Am 11. und 12. September findet vor dem Zwischenlager unter dem Motto "CASTOR-HALLE-LUJA" eine Blockade der Zufahrt statt. Seit genau zehn Jahren steht die Halle leer, in der eigentlich abgebrannte Brennelemente aus Atomkraftwerken, verpackt in sogenannte Castor-Behälter, lagern sollen. Eine Podiumsdiskussion zu den Energiekonsensgesprächen wird neben Kinderfest, Lifemusik und Theater durchgeführt sowie ein mittelalterlicher Rammbock gebaut.

15.09.1993

Am 15. September werden die Arbeiten in Schacht Gorleben 1 wegen fehlender Genehmigung zum Weiterteufen eingestellt.

Endlager-Hearing

21.09.1993

Zwischen dem 21. und 23. September 1993 findet in Braunschweig ein "Internationale Endlager-Hearing" des Niedersächsischen Umweltministeriums statt. Das Ministerium will "die wissenschaftliche Basis zu seiner Meinungsbildung verbreitern", etwa 20 Wissenschaftler*innen sind eingeladen.
Unter anderem beschreibt Prof. Dr. Eckhard Grimmel in einem Statement "Wege aus der Gorleben-Salzstock-Sackgasse". Er unterstreicht, dass "aus geobiologischer Sicht die fortgesetzte atomindustrielle Erzeugung großer Mengen radioaktiver Abfälle bzw. bestrahlter Brennelemente und deren Endlagerung in der Erdkruste grundsätzlich nicht zu verantworten" sei. Er fordert für ein Endlager ein "Multibarrierensystem" aus "leistungsfähigen technischen und natürlichen Barrieren".

Grimmel stellt fest, dass seit dem Hearing für die Niedersächsische Landesregierung endgültig feststehe, "daß der Salzstock Gorleben-Rambow als Endlager für radioaktive Abfälle ungeeignet ist".

Er empfiehlt zudem, die in Gorleben errichteten Zwischen- und Endlagergebäude in ein "Niedersächsisches Museumsdorf für technische Fehlentwicklungen des 20. Jahrhunderts" umzuwandeln, in dem vor allem die Gefährdung der Biosphäre durch den sogenannten Kernbrennstoffkreislauf erläutert und dokumentiert wird.


Laut aktuellen Planungen wird mit der Inbetriebnahme des Endlagers Gorleben im Jahre 2008 gerechnet.

24.09.1993

Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) sagt am 24. September vor erneuten Konsensgesprächen mit den Energieversorgern, "das Ziel des Atomausstiegs ist nicht verhandelbar".

Oktober

22.10.1993

In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion PDS / LINKE antwortet die Bundesregierung (CDU-regiert, Bundeskanzler Helmut Kohl) am 22. Oktober:

"Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Nutzung der Kernenergie (derzeit ausschließlich Leichtwasserreaktortechnik) auf der Basis des hockentwickelten Sicherheitsstandes in der Bundesrepublik Deutschland verantwortbar ist."

November

19.11.1993

Auf einer Veranstaltung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (die Elbe-Jeetzel Zeitung berichtet am 19. November) referiert der Geologe Prof. Gerd Lüttig. Er war ab 1970 Vizepräsident des "Niedersächsischen Landesamtes" sowie der späteren "Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe" (BGR). Im Auftrag der Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft untersuchte er zwischen 1972 und 1975 bundesweit 250 Salzstöcke für die Lagerung atomarer Reststoffe und kategorisierte diese in Klassen unterschiedlicher Eignung. Gorleben war in die dritte Kategorie gefallen und damit letzte Wahl gewesen.

Lüttig berichtet von der Standortentscheidung durch den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht:

"Auf die überraschte Nachfrage Lüttigs, dass dieser Salzstock nicht auf der von ihm erstellten Liste besonders geeigneter Salzstöcke stehe, habe Albrecht geantwortet, die Entscheidung habe andere Gründe. Die Geologen kämen später schon noch zu Wort.

Entscheidendes Motiv für Gorleben war nach Lüttigs Erinnerung Albrechts Wille, aufgrund des grenznahen Endlagerprojektes der DDR im Salzstock Morsleben mit der Benennung des ebenfalls dicht an der Grenze gelegenen Gorleben "die Ostzonalen richtig zu ärgern."

Lüttig erwähnte in diesem Zusammenhang einen Ratschlag von Albrechts Nachbar, eines pensionierten Bergassesors, der Gorleben ins Gespräch gebracht habe."

Dezember

22.12.1993

In einer Zeitungsanzeige erklären sich am 22. Dezember mehrer hundert UnterzeichnerInnen solidarisch mit den 14 Turmbesetzer*innen, die für ihre Aktion über 126.000 DM Schadensersatz zahlen sollen.

29.12.1993

Im Prozess um den Baustopp äußert das Verwaltungsgericht Lüneburg am 29. Dezember Zweifel an der "Eilbedürftigkeit des Endlagerprojektes" Gorleben. Für Februar 1994 wird eine Anhörung angesetzt.

Die ganze Geschichte: