GORLEBEN-CHRONIK

Das Jahr 1983

Draghan, eine WAA wird verhindert

Proteste gegen die Pläne, in Dragahn eine WAA zu errichten. "Gorleben statt Kreta" und Demos im Grenzgebiet zwischen der DDR und BRD. Das Bundeskabinett unter Helmut Kohl stimmt der "untertägigen Erkundung" des Salzstocks Gorleben zu.

Januar

Im Januar beginnen Pastoren und Christen auf Markt- und Dorfplätzen im Wendland aus Protest gegen den WAA-Bau mit wöchentlichen Schweigestunden.

09.01.1983

"Hannoversches Wendland": Am 9. Januar macht sich bei Regen und Sturm eine Abordnung verschiedener Widerstandsgruppen aus dem Wendland zu Fuß auf zu einem Anti-Atom-Protestmarsch mit Ziel Hannover.

21.01.1983

Am 21. Januar spricht sich der Kreistag Lüchow-Dannenberg auf seiner Tagung in Schnega mit 22 gegen 18 Stimmen für die "Prüfung" von Dragahn als WAA-Standort aus. An den Fenstern und Eingängen des Sitzungssaals kommt es immer wieder zu Raufereien zwischen der Polizei und rund 500 AKW-Gegner:innen.

29.01.1983

Am 29. Januar erreicht der Protestmarsch die Landeshauptstadt. Dort wird aus Protest gegen die WAA-Pläne in Dragahn die "Arche Wendland" errichtet, ein Fachwerkhaus aus Öko-Baustoffen, Bühne für Kultur und kritische Informationen. An der Demonstration nehmen ca. 5.000 Menschen, überwiegend aus dem Wendland, teil.

Februar

20.02.1983

Mehr als 2.500 Menschen, unterstützt von ca. 300 Treckern, demonstrieren am 20. Februar in Dragahn gegen den Plan, dort eine WAA zu errichten.

März

11.03.1983

Zu einem weiteren Treffen mit den Experten der BGR erscheinen "unerwartet" auch Vertreter des Bundeskanzleramtes und der Bonner Ministerien für Forschung und Technologie und des Inneren. Die Ministeriumsvertreter hätten die Physikalisch-Technische Bundesanstalt zur Änderung ihres Gutachtens aufgefordert.
"Es gab nichts Schriftliches, keine schriftliche Weisung, aber wir mussten das Gespräch klar als Weisung auffassen". (Professor Helmut Röthemeyer zur Einflussnahme der Kohl-Regierung)

Quelle: Tageszeitung, 18.4.2009

April

03.04.1983

Am 3. April behindern 800 Ostermarschierer:innen die Baugrunduntersuchungen in Dragahn.
Quelle: Lieber aktiv als radioaktiv II, LAIKA-Verlag

Mai

PTB empfiehlt Alternative Standortsuche

05.05.1983

Am 5. Mai erklärt Professor Helmut Röthemeyer, damaliger Leiter der Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), dass eine "interne Gesamtbewertung" der bis dahin vorliegenden Untersuchungsergebnisse zum Salzstock Gorleben empfehle, "das Erkundungsrisiko breiter zu streuen": "zum gegenwärtigen Zeitpunkt" sei es nicht möglich, "die Barrierewirkung am Standort Gorleben abschließend zu bewerten". Das Risiko könne jedoch durch "vorsorgliche Erkundungsmaßnahmen an anderen Standorten" verringert werden. Die PTB wollte also neben Gorleben weitere Salzstöcke erkunden.

"Es ist daher nicht auszuschließen, dass nach erfolgter untertägiger Erkundung aufwendige Maßnahmen an den technischen Barrieren notwendig werden, um die Einhaltung von Grenzwerten sicherzustellen. Ob diese Ausgaben dann grundsätzlich unvermeidbar sind, kann nur beantwortet werden, wenn Vergleichsdaten von anderen Standorten vorliegen." Wörtlich heißt es in den ersten Fassungen des PTB- Berichts, es sei "festzustellen, dass die über den zentralen Bereichen des Salzstocks Gorleben vorkommenden tonigen Sedimente keine solche Mächtigkeit und durchgehende Verbreitung haben, dass sie in der Lage wären, Kontaminationen auf Dauer von der Biosphäre fernzuhalten." Mit dem Eintreten von Schadstoffen in den untersten Grundwasserleiter müsse nach 600 bzw. 1170 Jahren gerechnet werden.

06.05.1983

Eine zweiten Fassung des PTB-Berichts, die am 6. Mai veröffentlicht wird, klingt deutlich positiver. Die bisherigen Erkenntnisse über den Salzstock Gorleben hätten die Hoffnung auf Eignung des Standorts "voll bestätigt", heißt es dort. Allerdings findet sich auch in dieser Version noch die Empfehlung alternative Standorte zu erkunden.

In der Endfassung des PTB-Berichts, der im Mai erscheint, sind die Ausführungen über die mögliche Erkundung anderer Standorte verschwunden. Zwei Jahre später erfährt die Presse, dass die Bundesregierung der PTB per Weisung untersagt hatte, derartige Überlegungen anzustellen. Stattdessen wird die "Eignungshöffigkeit" von Gorleben bestätigt.

15.05.1983

Ein Telex aus dem Bundesforschungsministerium fordert vom PTB – in durchaus höflicher Form "es ist zu prüfen" oder "ich wäre Ihnen dankbar" – die notwendigen Änderungen des Berichts, um in Gorleben bauen zu können. Verräterisch ist der direkte Bezug auf das Gespräch am 11. Mai, die Einflussnahme der Kohl-Regierung auf die Fachbehörde ist offensichtlich.
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 9.9.2009

23.05.1983

Am 23. Mai besetzen Hundert Bürger*innen ein leer stehendes Bahnwärterhäuschen in Dragahn, um dort eine Infostelle gegen den geplanten WAA-Bau einzurichten. Eine Woche später reißen Bagger das Gebäude nieder.

Gorleben ist überall - Zum Beispiel in Dragahn.


Ein paar Häuser, eine Försterei. Das abgeschirmte Gelände einer Delaborieranlage. Geheimnisumwittert. Im zweiten Weltkrieg Schauplatz für die TNT-Produktion. Arbeitsdienst, Gefangene, Frauen, deren Haare sich rot färbten, weil sie das Brunnenwasser getragen hätten, so wurde erzählt. Ein verwaister Ort, aber plötzlich, im Mai 1983, war Leben im Wald.

Um den Herren in legerem Zivil hat sich schnell ein diskutierender Pulk gebildet. Er könne sich vorstellen, demnächst mein Einsatzleiter zu werden, antwortet er auf meine Frage, in welcher Funktion er denn auftrete und lässt seine Dienstwaffe dezent unbetont unterm Blouson baumeln. Kräuselt die Stirn. Vorm Bahnwärterhaus im Dragahner Forst kuscheln und drängen sich übernächtigte Gestalten zusammen. Sie haben die leeren Räume besetzt, Fensterglas eingesetzt, gestrichen und Blumenkübel bepflanzt. Die Mainächte sind verdammt kühl. Sehen gar nicht wie Gewalttäter aus, entbieten ihm, dem Einsatzleiter, und seinen Begleitern in Uniform sogar einen guten Morgen und frische Brötchen.

Wer soll das auch alles aufessen: 60 Brötchen und 10 Liter frisch gebrühter Kaffee wurde schon vor 6 Uhr früh gebracht, von Sympathisanten. Polizeilich präventiv wolle er vorgehen, denn die Platzbesetzung der Bohrstelle 1004 war schließlich erst 2 Jahre her, verrät der Zivile noch. Könnte aus der Besetzung eines verlassenen Bahnwärterhäuschens durch eine Handvoll Entschlossener nicht schnell der Funken werden, der zum Steppenbrand sich ausweitet? Schön wär´s denke ich. Wo denn unsere Sprecherin sei, meint der Polizeichef nun und betont die weibliche Form: Sprecher-in. Oha, der ist ja gut informiert, hat schon die Morgenzeitung gelesen, denn dort wurde tatsächlich eine Sprecherin zitiert. Wir, die WAA-GegnerInnen, würden das Häuschen als Infostelle herrichten.

Die erste Filmnacht unter freiem Himmel lockte viele Ortsansässige an. Demnächst sollten im Wald Flachbohrungen stattfinden, um den Baugrund zu erkunden, und das wolle man verhindern! Man schreibt das Jahr 1983.

Nun gab es zwei Brennpunkte der Anti-AKW-Bewegung, Gorleben und Wackersdorf.
Schon fünf Jahre später zog die DWK die Pläne für den Bau von Wiederaufarbeitungsanlagen endgültig zurück, abgebrannte Brennelemente deutscher Atomkraftwerke wurden nach Frankreich, nach Cap de la Hague gekarrt, der Müll kommt nach der chemischen Bearbeitung dennoch zurück – wie ein Bumerang nach Gorleben.

Wolfgang Ehmke, Pressesprecher der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, 2019

Quelle: u.a. Lieber aktiv als radioaktiv II, LAIKA-Verlag

Juni

08.06.1983

Am 8. Juni wird die Salzlaugen-Pipeline, die zur Erkundung des Endlagers von Bedeutung ist, an mehreren Stellen beschädigt.
Quelle: Atom Express No. 36, Okt/Nov. 83

14.06.1983

"Gorleben statt Kreta" titelt die taz am 14. Juni: Über vier Wochen finden im Wendland zwischen dem 18. Juni bis 17. Juli "Aktions- und Sommercamps" statt. Nach einem Vorbereitungstreffen am 30.4. im Gasthaus Behr in Gülden heisst es in der "Dokumentation zu den Sommerlagern 1983 in der Atomregion Gorleben und Dragahn": Zeltplätze werde es in Schmölau, Golefanz, 2x Pudripp, Bülitz, Trebel, Meuchefitz und Dragahn geben. Es gebe Platz für ca. 500 Menschen.
"Ende des Jahres soll der erste Atommüll in Gorleben eingelagert werden. Es wird also BRENZLIG!"

Quelle: taz

23.06.1983

Am 23. Juni dringen 40 AKW-Gegner:innen in das Infohaus der Zwischenlagerbetreiber in Gorleben ein und entwenden das Informationsmaterial. Ein Modell der Atomanlage wird zerstört.
Quelle: Atom Express No. 36, Okt/Nov. 83

23.06.1983

In der Nacht vom 23. auf den 24. Juni durchtrennen Aktivist:innen an drei Orten (bei Künsche) in Bau befindliche Stromleitungen, die für die Endlagerbaustelle bestimmt sind.
Quelle: Atom Express No. 36, Okt/Nov. 83

25.06.1983

Auf das Gelände des Celler Brunnenbau findet am 25. Juni ein Brandanschlag statt. "Um der Firma Celler Brunnenbau die Gefährlichkeit weiterer Bohrungen im Landkreis Lüchow-Dannenberg deutlich zu machen."
Quelle: Atom Express No. 36, Okt/Nov. 83

26.06.1983

Am 26. Juni wird die Starkstromleitung zum Endlager an elf Stellen zerstört.
Quelle: Atom Express No. 36, Okt/Nov. 83

27.06.1983

Am 27. Juni findet in Dannenberg eine erste "spontane Häuserkampfdemo" statt: "Räumt das Zwischenlager, nicht die Häuser!" heißt es mit Verweis auf aktuelle Räumungen in Berlin.
Quelle: Atom Express No. 36, Okt/Nov. 83

28.06.1983

28. Juni: Baubeginn in Dragahn. Unter massiven Sicherheitsvorkehrungen beginnt die Bohrfirma Celler Brunnenbau mit den ersten bauvorbereitenden Massnahmen für die WAA. Barrikaden und Buhrufe können die Arbeiten nicht stoppen. In der Nacht kommt es zu Rangelein mit der Polizei, Wurfobjekte fliegen, Reifen von Polizei- und Bohrfahrzeugen werden zerstochen.
Quelle: Atom Express No. 36, Okt/Nov. 83

29.06.1983

Am 29. Juni erschweren massive Barrikaden aus Baumstämmen die Zufahrt zu den Bohrplätzen. Im Briefkasten des Kreishauses wird eine "Notdurft" gefunden, der Kommentar: "Wir bauen viel Scheiße, aber wir nutzen sie."
Quelle: Atom Express No. 36, Okt/Nov. 83

30.06.1983

Mit Eiern und Bauschutt wird am 30. Juni das Büro das Dannenberger Samtgemeindedirektors beworfen. Dieser ist mitverantwortlich für den Abriss des Bahnwärterhäuschens in Dragahn.
Quelle: Atom Express No. 36, Okt/Nov. 83

Juli

01.07.1983

Am 1. und 2. Juli kommt es im Landkreis zu mehreren Blockadeaktionen.

"Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
auf der Suche nach dem geeignetsten Standort für unsere Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) sehen wir uns leider gezwungen, nicht nur im Dragahner Forst, in dem wir jetzt mit unserem Bohrprogramm begonnen haben, sondern auch an diesem Ort Baugrunduntersuchungen durch Probebohrungen vorzunehmen. Wir bitten um Ihr Verständnis, dass wir diese öffentliche Verkehrsfläche nunmehr dafür
abgesperrt haben. Wir bitten Sie im Interesse Ihrer eigenen Sicherheit, diese Bohrstelle in den nächsten Tagen zu melden bzw. weiträumig zu umfahren." Unterzeichnet mit "Ihre DWK" geistern diese Flugblätter durch den Landkreis.

Quelle: Atom Express No. 36, Okt/Nov. 83

Grenzbesetzungen bei Blütlingen und Gummern

02.07.1983

Im Verlauf der Sommercamps besetzen am 2. Juli Gorleben-GegnerInnen das "Niemandsland" zwischen Bundesrepublik und DDR. Am 2. Juli 1983 wird das erste Camp nahe Blütlingen errichtet, ungefähr zehn Kilometer südöstlich von Lüchow. Die Besatzer werden teilweise von den Bewohnern der umliegenden Dörfern versorgt. "An der Wiese führte ja ein Seitenarm der Jeetzel vorbei. Wir haben uns in Schlauchboote gesetzt und Lebensmittel darin transportiert", erzählt Hans-Joachim Kroulik. Er war in den Achtzigern Vorsitzender der Dorfgemeinschaft in Blütlingen. (NDR, 27.06.2008)

Die Aktivist*innen beklagen: Das Wendland ist von drei Seiten von der ehemaligen Grenze der DDR und der Elbe umgeben. Bei einem Atomunfall werde Lüchow-Dannenberg zu einer "Falle". Neben der Offenlegung von Katastrophenschutzplänen fordern sie ein Ende der Arbeiten im Dragahner Forst.

Wir haben versucht, die Katastrophenpläne zu bekommen, die für den Fall einer atomaren Katastrophe in Gorleben vorbereitet waren. Wir, die wir östlich von Gorleben wohnten, saßen ja in der Falle. Sollte es zu einer atomaren Katastrophe kommen, konnten wir, bei vorwiegend westlichen Winden, der Gefahr nicht entrinnen - im Osten war die Elbe und die deutsch-deutsche Grenze. Darum haben wir die Idee entwickelt, dies durch eine Aktion deutlich zu machen. So entstand der Gedanke, ein Camp im Niemandsland auf DDR-Territorium zu errichten. Dort waren wir dem Zugriff der westlichen Sicherheitskräfte entzogen und gleichzeitig war es für die DDR-Grenzorgane zumindest erschwert gewesen, uns wegzuräumen. Wir sind davon ausgegangen, das wir dort relativ sicher sind. Wir wollten aber auch kein Risiko eingehen und nicht in die DDR verschleppt werden. Wenn die Militärpräsenz zu stark geworden wäre, hätten wir uns zurückgezogen. Aber wir haben auch ein bisschen auf den Schutz der Medien vertraut. Wenn Radio, Fernsehen und Presse dabei sind, dann wird man keinen internationalen Konflikt vom Zaun brechen. (Dieter Schaarschmidt im NDR, 26.06.2008)

Quelle: u.a. NDR, 26./27.06.2008

04.07.1983

Zwischen dem 4. und 7. Juli legen Aktivist:innen auf wendländischen Straßen Nagelbretter aus.
Quelle: Atom Express No. 36, Okt/Nov. 83

05.07.1983

Am 5. Juli machen sich etwa 40 Menschen zwischen Gartow und Schnackenburg auf den Weg in den Osten. In Gummern schlagen sie ihre Zelte auf.
Wir sind mit Zelten, Planen, Kochgeschirr und Brennholz auf das Gebiet gegangen. Es war ja warm und sommerliches Wetter. Wir waren eine lockere Campinggesellschaft - aber natürlich mit politischem Hintergrund. Wir hatten unsere Forderungen gestellt und Transparente gemalt. Und bei allem war ein Nervenkitzel dabei: Was passiert jetzt? (Dieter Schaarschmidt im NDR, 26.06.2008)


"Erst hüpften sie am vorletzten Wochenende südlich des Grenzdorfes Teplingen über einen Wassergraben, dann, vorigen Dienstag, spazierten sie, 32 Kilometer entfernt, beim Grenzdorf Gummern südlich Schnackenburg aus einem westdeutschen Föhrenhain ins ostdeutsche Brachland hinüber." (SPIEGEL vom 11.07.1983)


Ungefährlich ist die Besetzung des Niemandslandes nicht. Die Soldaten der Nationalen Volksarmee hätten jederzeit durch geheime Grenzöffnungen zu den Campern gelangen und sie in den Osten verschleppen können. "Die Gefahr war da", so Schaarschmidt. Auch Marianne Fritzen, Atomkraftgegnerin der ersten Stunde im Wendland, bestätigt das. "Diese Gefahr musste jeder eingehen. Sie hätten den Zaun einfach aufmachen können oder schießen." (NDR, 26.06.2008)
Quelle: u.a. SPIEGEL, 11.07.1983 - NDR, 26./27.06.2008

08.07.1983

Die Polizei riegelt am 8. Juli das Kreishaus in Lüchow ab. Atomkraftgegner:innen wollten sich hinsichtlich der Katastrophenschutzvorkehrungen bei Atomunfällen erkundigen. Aus Protest wird der Verkehr in Lüchow lahmgelegt, indem die Fussgängerüberwege der Hauptverkehrsstraßen "ständig genutzt" werden.
Quelle: Atom Express No. 36, Okt/Nov. 83

09.07.1983

Zwischen dem 9. und 12. Juli werden die Waldspaziergänge in Dragahn "immer härter":

Ich beobachtete wie zwei Radfahrer von einem Polizeibus aufgefordert wurden anzuhalten... Der Polizeibus fuhr den beiden in die Quere, riss sie vom Rad runter und führte sie mit Polizeigriff in den Bus ab. Dorfbewohner, die die gesehen hatte, alarmierten die Leute vom Camp... Zahlreiche Polizeifahrzeuge, auch Mannschaftstransporter hatten sich eingefunden. Der Bus mit den festgenommenen Radfahrern fuhr inzwischen zur Personalienkontrolle ab, obwohl die beiden einen Personalausweis dabei hatten. Die mit den Transportern angekommenen behelmten Beamten stellten sich nun in einer Kette auf die Straße. Ich stellte mich mit anderen Leuten parallel zur Polizeikette auf. Der Einsatzleiter stellte nur eine Aufforderung, zählte dann bis drei, und schickte seine Beamten zur Räumung der Straße. Diese gingen sofort brutal mit Siefeltritten und Knüppel gegen uns vor. Wir gingen nach dieser ersten Rangelei langsam die Straße runter in Richtung Camp... Ein Beamter trat mir andauern in die Hacken, bis er mir ein Bein stellte. Ich fiel hin und wurde getreten. Ich rollte mich zusammen und spürt, wie mich weitere Stiefel trafen und erhielt einen Schlag mit einem Knüppel auf den Kopf. Dann wurde ich von zwei Beamten gepackt, einer fasste mich an den Haaren der andere am rechten Oberarm (Kratzwunden) und zogen mich hoch und schmissen mich auf die Straße. Ich war am weinen und ging ein Stück bis mir Schwarz vor Augen wurde und ich auf die Knie fiel. Ich zitterte am ganzen Körper und fühlte mich elektrisiert.. Ich wurde dann mit dem Krankenwagen ins Kreiskrankenhaus Dannenberg gebracht... Während ich mit dem Arzt sprach rief die Polizei. Der Arzt gab meine Personalien der Polizei durch... (Gedächnisprotokoll)

Quelle: Atom Express No. 36, Okt/Nov. 83

13.07.1983

Am 13. Juli stimmt das Bundeskabinett unter Helmut Kohl der zügigen Aufnahme einer "untertägigen Erkundung" für die abschließende Eignungsaussage des Salzstocks Gorleben zu. In dem Kabinettsbeschluss heißt es auch, dass derzeit keine Notwendigkeit bestehe, "auch die Eignung anderer Salzstöcke zu untersuchen".

Noch 1979 hielt die Atomlobby eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) mit 1.400 Tonnen Jahresdurchsatz für unerlässlich. Nachdem zwei Standorte für den Bau einer WAA in Hessen und in Rheinland-Pfalz ausgeschieden sind, läuft 1983 die komplizierte Genehmigungsprozedur für Wackersdorf (Bayern) und in Dragahn (Niedersachsen).

Nach dem Regierungswechsel in Bonn wollte die Elektrizitäts-Wirtschaft endlich voll auf Atom-Kurs gehen. Doch das rechnet sich nicht. Statt der geplanten zwei soll nur noch eine Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Uranbrennelemente gebaut werden. Nicht einmal die jetzt vorgesehene Minianlage (im Gespräch war eine Kapazität von lediglich 350 Tonnen pro Jahr) werde von Anfang an ausgelastet sein. Nach damaligen Planungen sollte die WAA 1992 in Betrieb gehen. (SPIEGEL)

"Die Atomgegner haben der deutschen Industrie die größte Fehlinvestition ihrer Geschichte erspart", so ein Ministerialbeamter aus dem Bonner Forschungsministerium. (SPIEGEL Nr. 29 vom 18. Juli 1983)

Quelle: u.a. SPIEGEL Nr. 29 vom 18. Juli 1983

14.07.1983

Ein Großaufgebot der Polizei durchsucht am 14. Juli das Sommercamp auf dem BI-Gelände in Trebel. Die Bewohner:innen werden zusammengetrieben und zum Teil gefesselt. Zelte und Fahrzeuge werden ohne richterlichen Beschluss durchsucht.
Quelle: Lieber aktiv als radioaktiv II, LAIKA-Verlag

August

06.08.1983

Am Hiroshima-Tag, 6. August, demonstrieren 2.000 Menschen in Dragahn gegen die zivile und militärische Nutzung der Atomenergie.

15.08.1983

Fünf Lüchow-Dannenberger besetzen am 15. August zwei Baukräne auf dem Gelände des Zwischenlagers in Gorleben.
Quelle: Lieber aktiv als radioaktiv II, LAIKA-Verlag

September

03.09.1983

Am 3. September wird die Aufbewahrungsgenehmigung für das Zwischenlager Gorleben erteilt. In der Halle dürfen künftig 420 Transport- und Lager-Behälter vom Typ "Castor", umgerechnet 1.500 Tonnen Schwermetall (Uran, Plutonium und andere Spaltelemente) gelagert werden. Zwei Anwohner*innen klagen gegen die Genehmigung. Bis 1994 gibt es vom zuständigen Verwaltungsgericht Lüneburg kein Urteil.

09.09.1983

Am 9. September genehmigt das Bergamt Celle den im März 1982 beantragten Rahmenbetriebsplan für die Erkundung des Salzstocks Gorleben.

Oktober

Im Oktober legt die "Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen" (DWK) einen im Detail ausgearbeitete Bauplan für eine WAA in Dragahn vor.

27.10.1983

Am 27. Oktober wird dem "Fasslager" die Genehmigung nach §3 StrSchV für die Lagerung konditionierter fester schwach- und mittelradioaktiver Abfälle aus Atomkraftwerken, Medizin, Forschung und Gewerbe erteilt.

November

Im November wird der Sicherheitsbericht für die WAA Dragahn ausgelegt. Bis zum Jahresende gehen 29.300 Einsprüche, davon rund 15.000 aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg, bei der Kreisverwaltung ein.

01.11.1983

Die BI Lüchow-Dannenberg schickt Luftballons in die DDR und fordert deren Bürger:innen zu Einsprüchen gegen die Wiederaufarbeitungsanlage auf.
Quelle: Lieber aktiv als radioaktiv II, LAIKA-Verlag

17.11.1983

Am 17. November beginnen erste Arbeiten zur Errichtung des Bergwerks zur untertägigen Erkundung des Salzstocks Gorleben.

24.11.1983

Sabotageaktionen gegen Firmen im Wendland, die den Bau des Zwischenlagers in Gorleben unterstützen.
Quelle: Lieber aktiv als radioaktiv II, LAIKA-Verlag

Dezember

Zum Ende des Jahres wird das Gorlebener Atommülllager einer ersten technischen Probe unterzogen: Ein Lastwagen mit leeren Atommüllfässern kommt nicht durch das Tor der Lagerhalle, weil 15 Zentimeter lichte Höhe fehlen.

"Es war überhaupt keine Probe - denn schließlich hat es ja nicht funktioniert. Und im übrigen ist nicht das Hallentor zu niedrig, sondern der Lkw zu hoch", kommentiert Peter Bauhaus, führendes Mitglied der Bürgerinitiative. So, findet nicht nur Bauhaus, werden Bedenken allemal wegargumentiert - auch der Salzstock sei "bestens geeignet, nur die Naturgesetze taugen nichts".

17.12.1983

Ein Castor-Probebehälter trifft am Dannenberger Verladebahnhof ein. Demonstrat:innen begrüßen ihn mit einer Sitzblockade.

Die ganze Geschichte: