GORLEBEN-CHRONIK

...und davor - Die Anfänge bis 1972

Die Anfänge: Erste Überlegungen, Atommüll in Salz zu lagern - statt ihn in der Tiefsee zu versenken. Gasexplosion im Salzstock Gorleben-Rambow.

Der Kulturhistoriker Dr. Ulrich Reif stieß bei seinen Recherchen zum „Kalifieber“ zu Beginn des letzten Jahrhunderts darauf, dass wenigstens fünf Bergbaugesellschaften zwischen 1907 und 1929 "mindestens acht Tiefbohrungen auf Kali bzw. Erdöl direkt im Bereich der Salzstruktur Gorleben-Rambow oder in deren unmittelbarer Nachbarschaft" niedergebracht hatten. Teufen von 481, 840 und 1035 Metern wurden erreicht. Dabei wurden Bohrlöcher nicht ordnungsgemäß verfüllt, Reiff fand zum Teil chaotische Zustände vor, so blieb u.a. wegen Insolvenzen das Bohrgestänge in den Bohrlöchern. Schon damals, so schließt Reiff aus den historischen Protokollen aus dem Jahr 1907, warnten Revierbeamte und Bergamt vor der "großen Gefahr durch eindringendes Wasser".

1954

Inkrafttreten der sogen. Pariser Verträge. Der zivilen Atomenergienutzung stehen besatzungsrechtlich keine Hindernisse mehr im Weg.

1955/56

Überlegungen zur Endlagerung von radioaktiven Abfällen im Salz werden in den USA und in Deutschland vom Münchner Petrographen Georg Fischer mit Nachdruck vorgeschlagen. Nach Fischers Auffassung handelt es sich um "das Beste bis dahin bekannte Verfahren".

1957

Memorandum der Deutschen Atomkommission (DAtK) am 9. Dezember: Es ist von "Forschungsarbeiten" die Rede,  die sich "vor allem auf die sichere Beseitigung oder Verwertung radioaktiver Rückstände sowie auf die Dekontamination von radioaktiven Verunreinigungen erstrecken" sollten.

1959

In den Jahren 1959-1961 wird das in den USA favourisierte Endlagerkonzept in Salz im Arbeitskreis Strahlenschutz und Sicherheit der Deutschen Atomkommission (DAtK) thematisiert.

1961

Die oberirdische Endlagerung von Atommüll wird für die BRD ausgeschlossen. Für die BRD scheinen nur unterirdische geologische Formationen, wobei Salzstöcke oder aufgelassene Bergwerke besonders, geeignet. Der Bau einer "Prototypanlage zum Studium der Endlagerung" solle möglichst bald ins Auge gefasst werden, da der Bedarf für ein Endlager 1967/68 gegeben sei. Eine Versenkung der Abfälle im Meer wird kritisch gesehen, aber weiterhin als "Option" angesehen.

1962

Wissenschaftler der Bundesanstalt für Bodenforschung in Hannover werden vom Bundesminister für Wissenschaft und Forschung beauftragt, "die geologischen Möglichkeiten für eine absolut sichere und wirtschaftliche Beseitigung radioaktiver Abfallprodukte zu prüfen". (Quelle: Elbe-Jeetzel-Zeitung vom 3. Januar 1963)

1963

"Die rund 200 Steinsalzvorkommen der Norddeutschen Tiefebene bieten die günstigsten Voraussetzungen, darin den Atom-Müll aus der Bundesrepublik ‚auf ewig und alle Zeiten‘ verschwinden zu lassen", heißt es Anfang 1963. Der führende Salzlagerexperte Professor Dr. Richter-Bernburg setzt auf die "Nutzung stillgelegter Salzbergwerke". Theoretisch würde ein Salzbergwerk ausreichen, um den gesamten Atom-Müll Europas mühelos unterzubringen“, so das Resultat der wissenschaftlichen Forschungen der hannoverschen Bodenforscher.

Am 4. Mai verabschiedet die Deutsche Atomkommission (DAtK) das zweite Atomprogramm mit Favourisierung des Salzkonzepts für die Endlagerung. Die Gründe: große Dichte, für Flüssigkeiten und Gase "praktisch" undurchlässig, hohe Wärmeleitfähigkeit, Standfestigkeit, Häufigkeit der Vorkommen besonders in der norddeutschen Tiefebene. Es sollen allerdings auch die "Möglichkeiten anderweitiger Lagerung auf Basis internationaler Organisationen" weiter verfolgt werden.

Bei der Erörterung der Lagerung in bereits vorhandenen Grubenräumen wird von Hans-Joachim Martini, Präsident der Bundesanstalt für Bodenforschung, dem Vorläufer der BGR, am 15. Mai ausdrücklich das Bergwerk Asse II bei Wolfenbüttel (Niedersachsen) erwähnt. Martini und dessen Vizepräsident, der Geologe Gerhard Richter-Bernburg weisen auf die "günstige Gelegenheit" hin, die sich durch den Kauf der Asse ergeben würde.

Bei der ersten Besichtigung der Asse-2 im Jahre 1963 fällt auf, dass Wasser eindringt. Die Bergbehörde sieht darin jedoch "keine akute Gefahr".

1964

Die Bundesregierung beauftragt das Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (GSF, damals noch: Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung) mit der Durchführung von Arbeiten auf dem Gebiet der Endlagerung radioaktiver Abfälle.

1965

Am 12. März erwirbt die Bundesregierung das ehemalige Salzbergwerk Asse-2 und überträgt es dem Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (GSF, damals noch: Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung) als Forschungsstätte für die langfristige sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle.

1965 beginnt die Staatliche Zentrale für Strahlenschutz (SZS) der DDR mit der Suche nach einem zentralen Endlagerstandort für alle Arten radioaktiver Abfälle der Republik. In einem Auswahlverfahren werden zehn Standorte berücksichtigt. Drei davon kommen in die nähere Auswahl, darunter die Schächte "Bartensleben" (Morsleben) und "Marie" (Beendorf). Die Entscheidung für Morsleben fällt 1965. Wichtige Kriterien waren neben dem Endlagermedium Salz die Größe der verfügbaren Hohlräume und die baldige Nutzbarkeit des Bergwerks.

1967

In der Schachtanlage Asse-2 beginnt am 4. April das Versuchsprogramm für die Endlagerung von schwachaktiven Abfällen.

Im Mai beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland an der Verklappung radioaktiver Abfälle im Atlantik, 450 km vor der Küste Portugals. 480 Fässer aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe werden in Emden auf die "Topaz" umgeladen, die die strahlende Fracht zu ihrem Bestimmungsort brachte.

Bei der Deutschen Atomkommission war man beeindruckt von der Möglichkeit, mit einer Verklappung im Meer schon bei der vorherigen Zwischenlagerung des Atommülls Geld sparen zu können, da infolge der späteren Verklappung die billigsten Fässer verwendet werden könnten.

Im Zwischenbericht der Studiengruppe Tiefenlagerung der Gesellschaft für Kernforschung - also der Abfalllieferanten - vom 29. Mai 1967 heißt es zur Aktion in Emden: "Die Umladung erfolgte ohne Störungen. Lediglich bei Beginn der Arbeiten zeigten die Schauerleute eine gewisse Scheu vor ihrer Tätigkeit und leisteten in geringem Umfang passiven Widerstand, da sie sich aus den Presseberichten über die Errichtung einer Salzkaverne in Bunde die Meinung gebildet hatten, dass jeder Umgang mit radioaktiven Abfällen in höchstem Maße gefährlich sei. Eine Aufklärung des wahren Sachverhalts durch unseren Strahlenschutzfachmann, der die gesamte Verladung überwacht hatte, konnte die Bedenken der Schauerleute zerstreuen und diese arbeiteten fortan tüchtig mit. […] Dank der wohlwollenden Unterstützung durch Hafenbehörden, Zoll und Gewerbeaufsichtsamt (die von der Gefährlichkeit der Abfälle ursprünglich auch überhöhte Vorstellungen hatten) konnten verschiedene kleinere Schwierigkeiten überbrückt werden". (atommuellreport.de)

1969

Auf dem Gebiet der DDR kommt es am 25. Juli 1969 bei Rambow während einer Erkundungsbohrung zu einer Gasexplosion nachdem man in 3.500 Metern Tiefe auf ein Gas-Laufen-Gemisch getroffen war.

(...) Fast unmerklich hatte sich kurz nach Schichtbeginn eine bläulich-neblige Wolke über das Bohrloch gelegt. Kringel und seine Kollegen können den unkontrollierten Gasaustritt nicht mehr stoppen. Um 14.58 kommt es zur Explosion. Staatliche Behörden beziffern später den volkswirtschaftlichen Schaden auf 9,6 Millionen DDR-Mark - Ermittlungsbehörden machen menschliches Versagen als Ursache für das Unglück aus. (abendblatt.de / Martina Rathke, 17.03.11)

Entzündet hatte sich das Gemisch am glühenden Auspuff eines Antriebsmotors. Der Leiter der Bohrstelle starb. Sechs Arbeiter wurden schwer verletzt. Auch eine weitere Bohrung musste wegen unbeherrschbarer Bedingungen abgebrochen werden.

1970

Übernahme des Schachts Bartensleben / Morsleben in die Rechtsträgerschaft des Betreibers der DDR-Atomkraftwerke.

1972

Die erste Teilgenehmigung für die rückholbare Einlagerung von 500 Kubikmetern radioaktiver Abfälle im geplanten Endlager Morsleben aus dem überfüllten zentralen Zwischenlager der DDR in Lohmen bei Dresden wird 1971/72 ausgesprochen.

Der Geologe Gerd Lüttig erarbeitet mit seinem Kollegen Rolf Wager im Auftrag der KEWA eine streng vertrauliche Studie über 100 niedersächsische Salzstöcke. Der Studie nach könne Gorleben aus drei Gründen für ein Atommüll-Lager nicht in Betracht kommen:

  • Vermutete Carnallit-Vorkommen, Analogie zu Wustrow (Wendland)
  • Wenig geologische Erkenntnisse
  • Abtauchen der Salzstockoberfläche in Richtung Rambow um mehrere hundert Meter. Das deutete auf die Möglichkeit von Ablaugungsvorgängen (Subrosion) in diesem Gebiet hin

Die ganze Geschichte: