GORLEBEN-CHRONIK

Das Jahr 2022

"Wir haben Geschichte geschrieben!"

Das dritte Corona-Jahr beginnt mit einem Schicksalsschlag: völlig unerwartet stirbt Jochen Stay. Mit einem großen Festival feiern Anfang Juni tausende Menschen in Gorleben das Endlager-Aus und den Atomausstieg. Doch zum Jahresende die Ernüchterung: Die AKW-Abschaltung wird verschoben.

Januar

01.01.2022

Rund 80 Menschen kommen am Neujahrstag zum traditionellen Neujahrsempfang und anschließendem Rundgang an die Atomanlagen in Gorleben.

10.01.2022

Unter dem Deckmantel von "unwesentlichen" Änderungen seien seit dem Beginn des Umbaus von Schacht KONRAD 2009 bereits 60 Änderungsgenehmigungen ohne Öffentlichkeitsbeteiligung erteilt worden, beklagt die AG Schacht Konrad am 10. Januar. KONRAD werde "Anders gebaut als ursprünglich genehmigt".

15.01.2022

Am 15. Januar stirbt völlig unerwartet und mit erst 56 Jahren der Anti-Atom-Aktivist Jochen Stay. Seit 1992 hatte er sich im Wendland gegen Gorleben und die Castortransporte engagiert, organisierte mit X-tausenmal quer Blockaden gegen die Atommülltransporte und gehörte in den Jahren 2000 bis 2001 und von 2003 bis 2004 dem Vorstand der Bürgerinitiative an. Jochen konnte vielen anti-atom-bewegten Menschen Ausdrucks- und Aktionsmöglichkeiten aufzeigen und auf diese Weise entscheidend zum Atomausstieg beitragen.

"So kurz vor unserem großen Ziel, der Abschaltung aller Atomkraftwerke in Deutschland, ist er von uns gegangen. Das schmerzt uns alle sehr – Jochen, Du fehlst. Wir danken Dir aus tiefstem Herzen", schreibt die BI.

Februar

Atomenergie plötzlich "nachhaltig"

03.02.2022

Trotz aller Kritik stuft die EU-Kommission Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Auflagen als "klimafreundlich" ein. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) verurteilt diesen Schritt als "unsinnig und rückwärtsgewandt". Als Anti-Atom-Initiative, die sich seit nunmehr 45 Jahren mit der Atommüllproblematik befasse, wisse man, wie haltlos diese Klassifizierung sei, so BI-Sprecher Wolfgang Ehmke. Man könne nur hoffen, dass potentielle Anleger so klug sind, nicht in die Atomkraft zu investieren.

Der BI-Vorsitzende Martin Donat hat umgehend einen Brief an die EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen geschickt. In seinem Schreiben heißt es:
"Als Niedersächsin dürften Ihnen große historische Fehlentscheidungen zur Atomkraft ebenso vertraut sein, wie das Urteil folgender Generationen über derartige fatale Weichenstellungen. Nicht nur die internationale Presse erklärt in diesen Stunden ihr epochales Projekt, den europäischen „Green deal“, für gescheitert. Auch für europäische Umwelt-Initiativen und eine ganze Generation junger Europäer:innen haben Sie mit dem heutigen Beschluss eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft in Europa zu Grabe getragen." Donat legt von der Leyen deren Rücktritt nahe, um Platz zu machen für eine zukunftsfähige europäische Energiepolitik.

04.02.2022

126 Organisationen aus Deutschland - darunter die BI -, Frankreich, Russland und mehreren weiteren europäischen Ländern fordern am 4. Februar von der Bundesregierung in einer Resolution, das geplante Joint Venture zwischen dem französischen Atomkonzern Framatome und einer Tochter des russischen Atomkonzerns Rosatom zur Brennelementeproduktion im emsländischen Lingen zu verhindern. Dazu haben sie einen Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesumweltministerin Steffi Lemke geschrieben.

07.02.2022

Lubmin bekommt ein neues Castor-Zwischenlager mit einer Wandstärke von 1,8m. In Gorleben stehen 113 Behälter hinter Mauern, die gerade einmal 0,2 bis 0,5 Meter dick sind.
"Alle Mahnungen, die wir an die zuständige Atomaufsicht, das niedersächsische Umweltministerium in Hannover, gerichtet haben, für mehr Sicherheit zu sorgen, sind bisher verpufft", beklagt die BI in einer Pressemitteilung. Von Seiten der zuständigen Behörde herrsche "Schweigen im Walde".

11.02.2022

Auf scharfe Kritik von Anti-Atomkraft-Initiativen aus NRW und Niedersachsen sowie des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz und der Friedensnobelpreisträgerin IPPNW stoßen die Pläne des französischen Präsidenten Macron zum Neubau von sechs Atomkraftwerken sowie zur Planung von acht weiteren in Frankreich.
"Frankreich wird seine Klimaziele mit diesem teuren und gefährlichen Irrweg verfehlen, weil es den sofort nötigen massiven Umstieg auf erneuerbare Energien verpasst. Zudem erhöht sich das Risiko eines schweren Atomunfalls durch die geplanten Laufzeitverlängerungen für die alternde und immer störungsanfälligere AKW-Flotte – und die Kosten des Vorhabens sind ohne massive Subventionen durch EU-Gelder nicht zu stemmen für die französische Regierung. Allein für die Instandhaltung der laufenden AKW schätzt der französische Rechnungshof Kosten von 100 Mrd. Euro, dazu kommen die massiven Neubaukosten. Das Geld fehlt dann für die Energiewende," mahnt Kerstin Rudek von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg.

März

16.03.2022

Am 16. März "verirrt" sich ein Konvoi mit drei LKW, beladen mit den bekannten blauen Containern auf kurzem Auflieger und Warntafeln vor Radioaktivität in der Lüchower Innenstadt. Nach Informationen der BI handelt es sich tatsächlich um die Anlieferung von schwach- und mittelaktiven Abfällen aus dem stillgelegten AKW Krümmel an das Zwischenlager Gorleben.
BI-Sprecher Wolfgang Ehmke: "Warum lässt die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) derartige Transporte nach Gorleben durch belebte Einkaufsstraßen zu, statt die menschenleeren Umgehungstraßen zu nutzen? Das ist ein schlichtes Gebot der Risikominimierung."

April

12.04.2022

Die Themen "Krieg" und "Krise" stehen im Mittelpunkt der neuen Gorleben Rundschau (GR), die von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) herausgegeben wird. Die Abhängigkeit von russischen Gas-, Kohle- und Uranimporten; die Gefahr, die im Krieg mit Atomanlagen verbunden ist und die Notwendigkeit, in der Krise energiepolitisch forciert umzusteuern – diesen Themen widmet sich die "Osterausgabe" der GR.

"Atomare Anlagen erweisen sich im Krieg als unmittelbare nukleare Bedrohung in Europa, wer angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine in der Atomkraftnutzung einen Ausweg sieht, landet unweigerlich in der Sackgasse", so BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.

15.04.2022

Die Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) Lüchow-Dannenberg unterstützt den diesjährigen Ostermarsch am Ostermontag in Dolle. In diesem Jahr steht er ganz im Zeichen des Krieges in der Ukraine, das Motto lautet, "Durchbrechen wir gemeinsam den Teufelskreis Klimawandel, Militär und Krieg."

Juni

Gorleben raus - Atomkraft aus

03.06.2022

FotosFilm
Mit einem für das Wendland unvergesslichem Festival ziehen 15.000 Menschen an den Atomanlagen mit der letzten "kulturellen Widerstandspartie" einen Schlussstrich unter 45 Jahre Protest und Widerstand und feiern das Gorleben Aus und den Atomausstieg. Auf drei Bühnen findet rund um die "Beluga", vor dem Zwischenlagertor ab 14.00 Uhr ein buntes Programm unter dem Motto "Gorleben raus - Atomkraft aus" statt. Tausende ziehen mit einer Demo um das Bergwerk. Die musikalischen Highlights von 16 Bands sind Kettcar, Mal Elévé und - als geheimer Special Guest angekündigt - die Madsen. "Du schreibst Geschichte" singen tausende Menschen gemeinsam mit den Jungs, die hier zuhause sind - und sich selbst Jahrzehnte am Protest gegen das Endlager beteiligt haben.

14.06.2022

Das Bundesministerium für Umwelt- und Verbraucherschutz gibt den offiziellen Startschuss zur Schließung des Bergwerks Gorleben: Das Ministerium hat der BGE "den konkreten Auftrag zur Schließung und Verfüllung der Schachtanlage Gorleben" erteilt, heißt es in der Erklärung des BMUV.

"Das ist ein gewichtiger Meilenstein der Gorleben-Geschichte", schreibt die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI), "auf den offiziellen Beschluss haben wir lange gewartet."

Juli

29.07.2022

Die Umweltorganisation Greenpeace kritisierte am 29. Juli scharf ein Gutachten des TÜV Süd, mit dem der bayerische CSU-Vorsitzende und Ministerpräsident Markus Söder seine Forderung nach Verlängerung der Laufzeit für den Reaktor Isar 2 begründet.
Quelle: ENERGIE-CHRONIK, udo-leuschner.de

Dem Ausstieg entgegen!

29.07.2022

Über einhundert Radfahrer:innen beenden die Nordtour der "Anti-Atom-Radtour" in Gorleben. Dem Atomausstieg entgegen heißt das Motto der von .ausgestrahlt organisierten Protestfahrt, die im belgischen Tihange gestartet war und über mehr als 20 Tagesetappen bis nach Gorleben führte. Am 30.7. finden im Rahmen eines "Abschaltfests" Vorträge und Führungen zu 1004 statt.

"Sollte die Bundesregierung auf Laufzeitverlängerungen setzen, gibt es Protest und deutlichen Widerstand durch uns Anti-Atom-Gegner:innen", kündigen die Teilnehmer:innen der Anti-Atom-Radtour mit Blick auf die aktuelle Debatte um den Atomausstieg an.

September

05.09.2022

Für die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 wird eine Ausnahmeregelung getroffen, die es erlaubt, sie auch nach dem offiziellen Abschalttermin 31.12.2022 noch als "Ersatzreserve" bis längstens Mitte April 2023 vorzuhalten. Diese Entscheidung gibt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bekannt. Ursächlich ist der russische Überfall auf die Ukraine und andere energiepolitische Unsicherheitsfaktoren.
Quelle: ENERGIE-CHRONIK, udo-leuschner.de

10.09.2022

In der Schweiz hat die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (NAGRA) bekannt gegeben, dass sie als Standort des seit langem geplanten Endlagers für hochradioaktiven Müll das Gebiet "Nördlich Lägern" vorschlägt. Dieses 123 Quadratkilometer große Gebiet liegt in den Kantonen Zürich und Aargau und ist teilweise nur wenige hundert Meter von der deutschen Grenze entfernt.
Quelle: ENERGIE-CHRONIK, udo-leuschner.de

Oktober

19.10.2022

Das Bundeskabinett beschließt binnen vier Minuten und ohne Aussprache eine Änderung des Atomgesetzes, wonach alle drei letzten Atomkraftwerke bis zum 15. April 2023 kommerziell betrieben werden dürfen, soweit dies mit den weitgehend erschöpften Brennelementen per "Streckbetrieb" noch möglich ist.
Quelle: ENERGIE-CHRONIK, udo-leuschner.de

November

11.11.2022

Mit den Stimmen der Regierungsparteien billigt der Bundestag den kurzfristigen Weiterbetrieb der drei letzten Reaktoren, wie ihn das Bundeskabinett am 19. Oktober beschlossen hat. Die Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland dürfen damit noch bis zum 15. April Strom erzeugen, anstatt zum Jahresende stillgelegt zu werden, wie das seit über zehn Jahren im Atomgesetz vorgesehen war.
Quelle: ENERGIE-CHRONIK, udo-leuschner.de

Endlagersuche dauert deutlich länger

11.11.2022

Die Bundesgesellschaft für Endlagerung korrigiert offiziell den Zeitplan für die Endlagersuche: ein Standort solle erst im Jahr 2046 benannt sein wird, in einem worst case Szenario sogar erst 2065. Bis 2031 sollte ursprünglich ein Endlagerstandort in Deutschland feststehen, im Jahr 2050 gar der Einlagerungsbetrieb beginnen.

"Es geht nicht um gewollte Verzögerungen, aber wir haben stets den Grundsatz Sorgfalt vor Eile angemahnt. Das Eingeständnis der BGE, dass aus über 90 potentiell geeigneten Teilgebieten ein Standort nicht bis 2031 herauskristallisiert werden kann, war absehbar", kommentiert BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.

25.11.2022

Der Bundesrat billigt längere Laufzeiten für die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland, Neckarwestheim, Isar II und Emsland, bis zum 15.4.2023.

26.11.2022

Rund 100 Menschen der Kampagne "Runterfahren" blockieren das Haupttor des AKW Neckarwestheim. Sie möchten damit ein deutliches Zeichen gegen den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke setzen. In Gorleben findet vor dem Tor des Zwischenlagers eine Soli-Mahnwache statt, an der 25 Aktive teilnehmen.

Dezember

02.12.2022

Mit einer Lesung im Dannenberger Buchladen Hielscher stellt Wolfgang Ehmke sein neues Buch "Das Wunder von Gorleben. Der Beitrag des Wendlands zur Energiewende" vor.

03.12.2022

Am Abend wird das "Denkmal" der Bäuerlichen Notgemeinschaft in Jameln, welches an die 1997 von der Polizei im Zusammenhang mit einer Straßenblockade in Spieltau zerstochenen Treckerreifen erinnerte, abgebaut.

31.12.2022

Eigentlich sollten die drei letzten deutschen Atomkraftwerke am 31.12. für immer abgeschaltet werden. Durch die Energiekrise findet die Politik zu einem Kompromiss: Isar-2, Emsland und Neckarwestheim-2 sollen noch bis maximal Mitte April 2023 weiterlaufen. Atomkraftgegner:innen weisen auf das Risiko schwerer Unfälle und diverser Sicherheitsmängel hin - doch die Appelle verhallen mehr oder weniger ungehört...

Die ganze Geschichte: