Gorleben-Chronik
1979 – Treck nach Hannover
WAA „nicht durchsetzbar“
Im Januar führen Gorleben-GegnerInnen im Vorfeld erster Baugrunduntersuchungen (Flachbohrungen) in den betroffenen Wäldern eine „Mobile Waldwache“ durch.
Am 8. Februar empfangen 115 Trecker und Mähdrescher die Teilnehmer des Bundesausschusses für Forschung und Technologie in Gartow. Das Thema: Informationspolitik zu Gorleben.
Die Veranstaltung beginnt mit der Überreichung einer Resolution des Gartower Landvolk-Bezirksvorsitzenden Horst Schulz an den Vorsitzenden des Ausschusses und CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Albert Probst und mit einem Fragenkatalog, ausgehändigt von Marianne Fritzen. Probst stellt schon bald fest, dass der Dialog zwischen den örtlichen Gemeinden, dem Bund und Land verbesserungsbedürftig sei. Ja, die Informationspolitik. Sie muss verstärkt werden. Nach stundenlangem Schwätzen beklagt der Schriftsteller Nicolas Born die Verquickung von Politik und Atomlobby. Und ein junger Landwirt aus Teichlosen erklärt: "Wir sind auf die Straße gegangen, weil wir Angst haben. Aber so wie ich Sie habe reden hören, machen Sie mir noch mehr Angst!" Reinhard Ueberhorst nannte das Gespräch eine Ouvertüre für einen längeren Dialog, in dem gemeinsam ein Modell zur Lösung der Probleme gefunden werden soll. (Birgit Huneke, Gorleben Rundschau, Nov./Dez. 2016)
März / April - Beginn der hydrogeologischen Untersuchungen. Erste Bohrtrupps für Baugrunduntersuchungen werden durch Sitzblockaden behindert. Am 19. März blockieren Bauern die Bohrfahrzeuge in ihrem Depot mit Traktoren.
Der Treck nach Hannover
Vom 25. bis zum 31. März ziehen Gegner*innen des Gorleben-Projekts in einem Treck aus Traktoren und anderen Fahrzeugen aus dem Wendland in die Landeshauptstadt Hannover.
Am 28. März 1979 ereignete sich ein Kernschmelzunfall in US-Atomkraftwerk Harrisburgh.
Im Schatten dieses Unglücks versammeln sich in Hannover mit Ankunft des Trecks fast 100.000 Menschen zu einer Kundgebung - eine der bis dahin größten Protestveranstaltungen in der Geschichte der Bundesrepublik.
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Zeitgleich zu dem Protest-Treck findet in Hannover das „internationale Gorleben-Symposium“ statt.
"Es wäre natürlich möglich weiterzumachen, ohne Kriterien festzusetzen. Ein Vorgehen in dieser Weise garantiert, daß man die Kriterien erfüllen wird: Denn es ist genauso, als wenn man bei einem Schießwettbewerb zunächst auf die blanke Wand schießen, dann zu der Wand hingehen und das Ziel jeweils um die Stellen herum einzeichnen würde, wo die Schüsse hingetroffen haben." Der schwedische Atomexperte Professor Abrahamson zu den Auswahlkriterien für das geplante Atomendlager Gorleben
Am 4. Juli sagt Ernst-Albrecht in der Energiedebatte vor dem Deutschen Bundestag, die niedersächsische Landesregierung sei nicht bereit, "auf verängstigte Menschen zu schießen", damit die Anlage in Gorleben gebaut werden könne, die zwar wünschenswert, aber im Augenblick nicht notwendig sei.
WAA technisch machbar aber politisch nicht durchsetzbar

Dezember 1979: Salzspiegelbohrungen zwischen Gorleben und Trebel, Bild: EJZ-Archiv
Am 16. Mai gibt die niedersächsische Landesregierung überraschend bekannt, dass auf die Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in Gorleben verzichtet werden soll.
Die Begründung Ernst Albrechts: "Die politischen Voraussetzungen sind zur Zeit nicht gegeben."
An den Plänen für ein Atommüll-Endlager im Salzstock wird festgehalten.
Im September findet zur Errichtung der ersten Tiefbohrstelle 1003 für die "Erkundung" des Salzstocks Gorleben-Rambow ein massiver Polizeieinsatz statt.
Im "Entsorgungsbeschluss" der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 28. September heisst es, daß "die Erkundung und bergmännische Erschließung des Salzstockes Gorleben (...) zügig vorangeführt" werden soll. Eine deutsche WAA solle gebaut werden und ein Systemvergleich zwischen Wiederaufarbeitung und direkter Endlagerung erfolgen. Spätestens Ende der 90er-Jahre soll ein Bundesendlager betriebsbereit sein. Als Entsorgungsvorsorgenachweis für den Weiterbetrieb von AKWs gilt der Nachweis über den Verbleib der abgebrannten Brennelemente für sechs Jahre im Voraus.
Am 14. Oktober protestieren daraufhin mehr als 70.000 Atomkraftgegner*innen in Bonn.
Im Dezember finden zwischen Trebel und Gorleben Salzspiegelbohrungen statt.
Die ganze Geschichte:
…und davor – Die Anfänge bis 1972
Die Anfänge: Erste Überlegungen, Atommüll in Salz zu lagern – statt ihn in der Tiefsee zu versenken. Gasexplosion im Salzstock Gorleben-Rambow.

1973 – Zwei AKW für das Wendland
1973 werden die Pläne bekannt, bei Langendorf an der Elbe ein Atomkraftwerk zu bauen. In der Debatte um einen Standort für ein Atommüll-Endlager bzw. die Errichtung eines Entsorgungszentrums spielt Gorleben 1973 offiziell keine Rolle.
1974 – Erste Standortsuche ohne Gorleben
Die Standortsuche für ein Atommülllager beginnt. Das Credo: So lange die Anlage genug Platz hatte und niemanden störte, war alles gut.

1975 – Großer Waldbrand bei Trebel
Im August 1975 bricht bei Trebel ein großer Waldbrand aus. Die Bundesregierung geht bei der Standortsuche für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) davon aus, dass mehrere Salzstöcke parallel untersucht werden müssten. Gorleben gehört nicht dazu.

1976 – Der Standort „Gorleben“ taucht auf
(…) In einer zweiten Version der TÜV-Studie wurde handschriftlich der Standort Gorleben ergänzt und als am besten geeignet befunden. (…)

1977 – Das Jahr der Standortbenennung
Nach der Benennung Gorlebens als Standort für ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ finden erste Großdemonstrationen statt.

1978 – Ein Koffer voll Geld
Innerhalb von 5 Tagen sammeln Gorleben-Gegner*innen 800.000 DM, um der DWK beim Kauf weiterer Grundstücke über dem Salzstock Gorleben zuvor zukommen.

1979 – Treck nach Hannover – WAA „nicht durchsetzbar“
Im März 1979 findet der legendäre „Treck nach Hannover“ statt. Nach einer Großdemonstration in der Landeshauptstadt verkündet der Ministerpräsident das Aus für die WAA-Pläne in Gorleben.

1980 – „Republik Freies Wendland“
Platzbesetzung der Bohrstelle Gorleben 1004 und Gründung der „Republik Freies Wendland“. Die Räumung nach vier Wochen wird zum größten Polizeieinsatz in der Geschichte der BRD.

1981 – Die Zweifel in Gorleben werden größer, nicht kleiner
Gorleben-Hearing in Lüchow zum Bau des Zwischenlagers und massiver Protest gegen das AKW Brokdorf. Nach Bohrungen werden die Zweifel an der Eignung des Salzstock Gorleben für ein Endlager „größer, nicht kleiner“. Doch Gegner*innen des Projekts seien „Schreihälse, die bald der Geschichte angehören“, meinen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Oppositionsführer Helmut Kohl.

1982 – „Tanz auf dem Vulkan“
Der Zwischenlagerbau beginnt, Tanz auf dem Vulkan und plötzlich ist das Wendland mit Dragahn wieder als ein WAA-Standort im Gespräch.

1983 – Dragahn: Eine WAA wird verhindert
Proteste gegen die Pläne, in Dragahn eine WAA zu errichten. „Gorleben statt Kreta“ und Demos im Grenzgebiet zwischen der DDR und BRD. Das Bundeskabinett unter Helmut Kohl stimmt der „untertägigen Erkundung“ des Salzstocks Gorleben zu.

1984 – Menschenkette und Tag X
„Das Vertrauen hat sehr gelitten“: Menschenkette und Wendland-Blockade gegen die WAA-Pläne. Unter erheblichem Protest erreicht ein erster Atommülltransport das Fasslager Gorleben.
1985 – „Spudok“-Affäre und Kreuzweg
Der erste Kreuzweg führt vom AKW Krümmel nach Gorleben. Nach Anschlägen auf die Bahn werden die Daten von tausenden Gorleben-Gegner*innen von der Polizei gespeichert – und damit eine ganze Szene pauschal kriminalisiert.
1986 – Tschernobyl
Heftige Auseinandersetzungen um den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und die Inbetriebnahme des AKW Brokdorf. Nach dem GAU von Tschernobyl protestieren zehntausende Menschen gegen die Atomenergie.
1987 – 10 Jahre Gorleben
„Transnuklearskandal“ betrifft auch Atommüll im Zwischenlager Gorleben. Schwerer Unfall in Schacht 1.
1988 – „Wir stellen uns quer!“
Kreuzweg der Schöpfung führt von Wackersdorf nach Gorleben, Schmiergeldskandal, „Wir stellen uns quer“ – Proteste gegen den ersten Probecastor ins Zwischenlager.
1989 – Castor-Alarm im Wendland
Das Aus für die WAA Wackersdorf, Castor-Alarm: erster Atommülltransport nach Gorleben wird wenige Stunden vor Abfahrt gerichtlich gestoppt.
1990 – PKA-Bauplatz- und Turmbesetzung
„Ein Hauch der Freien Republik Wendland wehte durch den Gorlebener Tann…“, als auf dem Bauplatz der PKA Hütten errichtet werden. Aktivist*innen besetzen im Sommer den Förderturm in Gorleben, zum Jahresende Baustopp und SPD-Versprechen.
1991 – Mol-Skandal & Baustopp
Anlieferung von Mol-Container, PKA-Bauplatzbesetzung, erneuter „Castor-Alarm“ und nächster Baustopp im Erkundungsbergwerk.
1992 – Viel Geld für den Landkreis
Resolution gegen und eine Mehrzweckhalle für Gorleben, Erweiterung des Zwischenlagers und viel Geld für den Landkreis.
1993 – CASTOR-HALLE-LUJA und Endlagerhearing
Sitzblockaden gegen Atommüll-Lieferungen, „Wege aus der Gorleben-Salzstock-Sackgasse“, Energiekonsens-Gespräche und hohes Bussgeld gegen Turmbesetzer*innen.
1994 – Pleiten, Pech und Pannen: „Castornix“
Widerstandscamp „Castornix“ und erhebliche Proteste gegen ersten Castortransport, der wegen technischer Mängel dann abgesagt wird. Weiterbau der PKA per Weisung.

1995 – Tag X, Backpulver & Stay rude-stay rebel
Anschläge auf Bahn & Kran, die Aktion „ausrangiert“ will den ersten Castor empfangen, Bundesumweltministerin Merkel macht den absurden Backpulver-Vergleich & der Baustopp im Bergwerk wird aufgehoben.
1996 – „Wir stellen uns quer!“
10 Jahre nach Tschernobyl, „Wir stellen uns quer!“ gegen den zweiten Castor nach Gorleben.

1997 – Stunkparade gegen Sixpack
Gewaltsame Räumung für den dritten Castor, Griefahn knickt ein & mehr Geld von der BLG.
1998 – Castor-Skandal und TagX4 in Ahaus
Einwendungen gegen die PKA, Castortransport nach Ahaus, Transportestopp nach verstrahlten Behältern, Einstieg in den Atomausstieg und Moratorium im Salzstock.