Gorleben-Chronik
1982 – „Tanz auf dem Vulkan“

Grenzbesetzung Januar 1982; Foto: Michael Kröger
Nach der Jahreswende gibt das Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit sechs Monaten Verzögerung grünes Licht für den Bau des Atommüll-Zwischenlagers in Gorleben. In dem Zuge zerstören AtomkraftgegnerInnen den Zaun des Zwischenlagergeländes. „Bohrt 100 Löcher in den Sand – ihr findet nichts als Widerstand“, so die Botschaft.
Am 26. Januar beginnt der Bau des Zwischenlagers.
Am 27. Januar findet die erste „Grenzbesetzung“ statt: Mit Transparenten betreten AtomkraftgegnerInnen als Protest gegen den Baubeginn des Zwischenlagers das „Niemandsland“ zwischen der Bundesrepublik und der DDR.
Im März mit Übergabeschreiben vom 14. April beantragt die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE) den Rahmenbetriebsplan für die Erkundung des Salzstocks:
„Die untertägige Erfindung des Salzstockes Gorleben umfaßt alle rein bergmännischen Arbeiten, um detaillierte Kenntnisse über das Salzstockinnere zu gewinnen. Auch diese Kenntnisse sind Voraussetzung für die Beantwortung der wesentlichen Frage, ob die Sicherheit im Falle der Einlagerung radioaktiver Abfälle gewährleistet ist und welche Mengen von Abfällen in den einzelnen Bereichen des Salzstockes gelagert werden können.“
„Nachdem derzeitigen Stand der Planungen können die Vorbereitungen für das Schachtabteufen Anfang 1983 beginnen, das Schachtabteufen selbst 1985 mit der anschließenden vierjährigen Erkundung von 1989 bis 1992.“
Der „Erkundungsbereich“ umfasst 2000 x 9000 x 300 Meter.
Je tiefer wir bohrten, desto schlechter wurden die Ergebnisse
Der Quartärgeologe Prof. Dr. Klaus Duphorn nahm bis 1982 im Auftrag der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) die Bohrergebnisse aus Gorleben unter die Lupe. Zwischen 1979 bis 1981 wurden 5.300 Handbohrungen realisiert und rund 500.000 Steine untersucht. Daraufhin habe man vom Terrain 48 Karten erstellt.
„Je tiefer wir bohrten, desto schlechter wurden die Ergebnisse“, so Duphorn vor dem 1. Untersuchungsausschuss zu Gorleben am 8. Juli 2010. Die Ergebnisse hätten gezeigt, dass man anfangs die Grundwasserdynamik unterschätzt habe. So habe auch die PTB einräumen müssen, dass das Deckgebirge als mögliche Barriere für radioaktiven Abfall quasi ausfalle und Gorleben mit dem Salzstock ein Ein-Barrieren-System aufweise.
Auf 300 Seiten legt Duphorn fundiert und akribisch dar, welche Risiken der Salzstock Gorleben als Folge der komplizierten geologischen Struktur und der Wasserkontakte für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle birgt. Es wurde damit klar, dass der Kieler Quartärgeologe nicht das gewünschte Ergebnis („Eignungshöffigkeit“) liefern würde. Heinz Riesenhuber, Leiter des Forschungsministeriums, liess Duphorns Gutachtervertrag nicht über das Jahr 1982 hinaus verlängern. In einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie vom 15. Juli 1982 wurde schließlich Duphorns wissenschaftliche Reputation angegriffen. Duphorn berichtet 2009, dass er im Oktober 1982 nach dem Regierungswechsel von PTB-Mitarbeitern in Kiel aufgesucht wurde, er sei aber nicht zur Änderung seiner Aussagen bereit gewesen.
4. September: „Tanz auf dem Vulkan“
Am 4. September folgen 10.000 Menschen dem Aufruf zum Musikfestival „Tanz auf dem Vulkan“ als Reaktion auf den Baubeginn der Zwischenlagerhallen in Gorleben. Bundesweit protestieren 40.000 Menschen an den potentiellen Standorten für Wiederaufarbeitungsanlagen und demonstrieren „dezentrale Gemeinsamkeit“.
In Gorleben kommt es nach der Kundgebung der Bürgerinitiative zu teilweise militanten Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Wasserwerfer und Schlagstöcke einsetzt. Atomkraftgegner*innen erleiden Prellungen und Knochenbrüche. Klagen gegen den Einsatz gehen später bis vor das Bundesverfassungsgericht.
Fotos: Manfred Kraft/Umbruch Bildarchiv
- Bilder-Serien vom „Tanz auf dem Vulkan“: umbruch-bildarchiv.de – wendland-archiv.de
30. Oktober: „Schlacht am Schacht“ Konrad, 8-10.000 Menschen protestieren gegen die Endlagerpläne bei Salzgitter. Es kommt zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Am 01. November ist in einer von der BI fingierten Anzeige in der „Elbe Jeetzel Zeitung“ zu lesen: Die Spitzen der Kommunalpolitiker, der Oberkreisdirektor und der Landrat treffen sich am gleichen Tag mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht in dessen Privathaus, um über die Pläne für eine Wiederaufarbeitungsanlage in Dragahn zu sprechen.
Zwei Tage später (3. November) erklärt die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen (DWK), dass sie zwei Standorte für den Bau von Wiederaufarbeitungsanlagen verfolgen wolle: Einer in Bayern (Wackersdorf) und einer in Niedersachsen (Dragahn).
Verbitterung und Wut macht sich breit: Hieß es nicht, eine WAA im Wendland sei vom Tisch?
Die ganze Geschichte:
…und davor – Die Anfänge bis 1972
Die Anfänge: Erste Überlegungen, Atommüll in Salz zu lagern – statt ihn in der Tiefsee zu versenken. Gasexplosion im Salzstock Gorleben-Rambow.

1973 – Zwei AKW für das Wendland
1973 werden die Pläne bekannt, bei Langendorf an der Elbe ein Atomkraftwerk zu bauen. In der Debatte um einen Standort für ein Atommüll-Endlager bzw. die Errichtung eines Entsorgungszentrums spielt Gorleben 1973 offiziell keine Rolle.
1974 – Erste Standortsuche ohne Gorleben
Die Standortsuche für ein Atommülllager beginnt. Das Credo: So lange die Anlage genug Platz hatte und niemanden störte, war alles gut.

1975 – Großer Waldbrand bei Trebel
Im August 1975 bricht bei Trebel ein großer Waldbrand aus. Die Bundesregierung geht bei der Standortsuche für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) davon aus, dass mehrere Salzstöcke parallel untersucht werden müssten. Gorleben gehört nicht dazu.

1976 – Der Standort „Gorleben“ taucht auf
(…) In einer zweiten Version der TÜV-Studie wurde handschriftlich der Standort Gorleben ergänzt und als am besten geeignet befunden. (…)

1977 – Das Jahr der Standortbenennung
Nach der Benennung Gorlebens als Standort für ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ finden erste Großdemonstrationen statt.

1978 – Ein Koffer voll Geld
Innerhalb von 5 Tagen sammeln Gorleben-Gegner*innen 800.000 DM, um der DWK beim Kauf weiterer Grundstücke über dem Salzstock Gorleben zuvor zukommen.

1979 – Treck nach Hannover – WAA „nicht durchsetzbar“
Im März 1979 findet der legendäre „Treck nach Hannover“ statt. Nach einer Großdemonstration in der Landeshauptstadt verkündet der Ministerpräsident das Aus für die WAA-Pläne in Gorleben.

1980 – „Republik Freies Wendland“
Platzbesetzung der Bohrstelle Gorleben 1004 und Gründung der „Republik Freies Wendland“. Die Räumung nach vier Wochen wird zum größten Polizeieinsatz in der Geschichte der BRD.

1981 – Die Zweifel in Gorleben werden größer, nicht kleiner
Gorleben-Hearing in Lüchow zum Bau des Zwischenlagers und massiver Protest gegen das AKW Brokdorf. Nach Bohrungen werden die Zweifel an der Eignung des Salzstock Gorleben für ein Endlager „größer, nicht kleiner“. Doch Gegner*innen des Projekts seien „Schreihälse, die bald der Geschichte angehören“, meinen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Oppositionsführer Helmut Kohl.

1982 – „Tanz auf dem Vulkan“
Der Zwischenlagerbau beginnt, Tanz auf dem Vulkan und plötzlich ist das Wendland mit Dragahn wieder als ein WAA-Standort im Gespräch.

1983 – Dragahn: Eine WAA wird verhindert
Proteste gegen die Pläne, in Dragahn eine WAA zu errichten. „Gorleben statt Kreta“ und Demos im Grenzgebiet zwischen der DDR und BRD. Das Bundeskabinett unter Helmut Kohl stimmt der „untertägigen Erkundung“ des Salzstocks Gorleben zu.

1984 – Menschenkette und Tag X
„Das Vertrauen hat sehr gelitten“: Menschenkette und Wendland-Blockade gegen die WAA-Pläne. Unter erheblichem Protest erreicht ein erster Atommülltransport das Fasslager Gorleben.
1985 – „Spudok“-Affäre und Kreuzweg
Der erste Kreuzweg führt vom AKW Krümmel nach Gorleben. Nach Anschlägen auf die Bahn werden die Daten von tausenden Gorleben-Gegner*innen von der Polizei gespeichert – und damit eine ganze Szene pauschal kriminalisiert.
1986 – Tschernobyl
Heftige Auseinandersetzungen um den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und die Inbetriebnahme des AKW Brokdorf. Nach dem GAU von Tschernobyl protestieren zehntausende Menschen gegen die Atomenergie.
1987 – 10 Jahre Gorleben
„Transnuklearskandal“ betrifft auch Atommüll im Zwischenlager Gorleben. Schwerer Unfall in Schacht 1.
1988 – „Wir stellen uns quer!“
Kreuzweg der Schöpfung führt von Wackersdorf nach Gorleben, Schmiergeldskandal, „Wir stellen uns quer“ – Proteste gegen den ersten Probecastor ins Zwischenlager.
1989 – Castor-Alarm im Wendland
Das Aus für die WAA Wackersdorf, Castor-Alarm: erster Atommülltransport nach Gorleben wird wenige Stunden vor Abfahrt gerichtlich gestoppt.
1990 – PKA-Bauplatz- und Turmbesetzung
„Ein Hauch der Freien Republik Wendland wehte durch den Gorlebener Tann…“, als auf dem Bauplatz der PKA Hütten errichtet werden. Aktivist*innen besetzen im Sommer den Förderturm in Gorleben, zum Jahresende Baustopp und SPD-Versprechen.
1991 – Mol-Skandal & Baustopp
Anlieferung von Mol-Container, PKA-Bauplatzbesetzung, erneuter „Castor-Alarm“ und nächster Baustopp im Erkundungsbergwerk.
1992 – Viel Geld für den Landkreis
Resolution gegen und eine Mehrzweckhalle für Gorleben, Erweiterung des Zwischenlagers und viel Geld für den Landkreis.
1993 – CASTOR-HALLE-LUJA und Endlagerhearing
Sitzblockaden gegen Atommüll-Lieferungen, „Wege aus der Gorleben-Salzstock-Sackgasse“, Energiekonsens-Gespräche und hohes Bussgeld gegen Turmbesetzer*innen.
1994 – Pleiten, Pech und Pannen: „Castornix“
Widerstandscamp „Castornix“ und erhebliche Proteste gegen ersten Castortransport, der wegen technischer Mängel dann abgesagt wird. Weiterbau der PKA per Weisung.

1995 – Tag X, Backpulver & Stay rude-stay rebel
Anschläge auf Bahn & Kran, die Aktion „ausrangiert“ will den ersten Castor empfangen, Bundesumweltministerin Merkel macht den absurden Backpulver-Vergleich & der Baustopp im Bergwerk wird aufgehoben.
1996 – „Wir stellen uns quer!“
10 Jahre nach Tschernobyl, „Wir stellen uns quer!“ gegen den zweiten Castor nach Gorleben.

1997 – Stunkparade gegen Sixpack
Gewaltsame Räumung für den dritten Castor, Griefahn knickt ein & mehr Geld von der BLG.
1998 – Castor-Skandal und TagX4 in Ahaus
Einwendungen gegen die PKA, Castortransport nach Ahaus, Transportestopp nach verstrahlten Behältern, Einstieg in den Atomausstieg und Moratorium im Salzstock.
1999 – „Gerhard, wir kommen“ & X-tausendmal quer
„Flickschusterei“ um Atomausstieg & AkEnd, Stunkparade nach Berlin und die Ankündigung, dass sich beim nächsten Castor X-tausend Menschen querstellen werden.

2000 – Atomkonsens & Moratorium
Defekte Brücke und unsichere Behälter verhindern Castorlieferung, Atomkonsens „alles Lüge“, denn er sichert den Weiterbetrieb der AKW und Moratorium im Salzstock.

2001 – X-tausendmal quer & Widersetzen
Zwei Atommülltransporte rollen nach Gorleben, einer im März, ein zweiter im November. X-tausend Menschen stellen sich quer und WiderSetzen sich. Der Betonblock von Süschendorf zwingt den Castor zum Rückwärtsgang. Der Widerstand bekommt ein Archiv, die Bundestagsabgeordneten ein Denkmal, die „Gewissensruhe“.