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Ein Jahr nach dem Gorleben-Aus

Für den Widerstand gegen die Atomanlagen in Gorleben ist der 28. September 2020 ein ganz wichtiges Datum geworden: Mit der Veröffentlichung des Zwischenbericht Teilgebiete an diesem Tag war der Salzstock aus der künftigen Endlagersuche ausgeschlossen worden. Ein Jahr nach dieser Verkündung starten wir eine kleine Zeitreise in die Stimmungen der letzten Jahrzehnte.

Am heutigen 17. September 2021 hat das Bundesumweltministerium mitgeteilt, dass der Salzstock endgültig stillgelegt und zurückgebaut werden soll. Das Salz kommt wieder unter die Erde – und damit werde „auch jede Hintertür geschlossen“, der Salzstock kann also künftig keine Rückfalloption mehr sein, sollte das Endlager-Suchverfahren etwa scheitern. Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) dankte sogar den Menschen im Wendland für ihre jahrelangen Proteste. Damit sei verhindert worden, dass „ein ungeeigneter Standort“ zum Atommüll-Endlager geworden sei…

Wolfgang Ehmke, Pressesprecher der BI Umweltschutz kommentierte das Gorleben-Aus vor einem Jahr so:

vor zehn Jahren

Sitzblockade Harlingen 2011. Foto: I&W.Lowin

Im März 2011 havarieren vier Atomkraftwerke im japanischen Fukushima und setzen einen Wendepunkt in der deutschen Atompolitik: eine vor wenigen Monaten zugesicherte Laufzeitverlängerung für alle alten AKW wird zurückgenommen und acht Meiler zwangsabgeschaltet. Im ganzen Land gehen massenhaft Menschen auf die Straße und fordern einen schnellen Atomausstieg.

Im November rollt der bislang letzte Castortransport mit elf Behältern hochradioaktiver Abfälle rollt von Frankreich in das Zwischenlager Gorleben. Es gibt soviel Protest wie noch nie, an der Auftaktdemoin Dannenberg nehmen mehr als 20.000 Menschen teil, die Bäuerliche Notgemeinschaft unterstützt mit 450 Treckern. Es folgt ein Blockademarathon von tausenden Menschen, der diesen Castor alle Rekorde brechen ließ: erst nach 92 Stunden kann die radioaktive Fracht ihr Ziel erreichen. Künftig sind Castortransporte nach Gorleben gesetzlich verboten – eine neue Endlagersuche wird gestartet.

Gorleben-Chronik: 2011 – Fukushima & Rekord-Castor

vor zwanzig Jahren

März 2011: Run auf die Schiene. Foto: Klaus Werner

Nach einer jahrelanger Pause wegen technischer Probleme und Skandalen um die Castoren rollen im März und im November 2001 Atommüllbehälter nach Gorleben. Während die Grünen wegen des „Atomkonsens“ dazu aufrufen, sich nicht an den Protesten zu beteiligen stellen sich X-tausend Menschen quer und WiderSetzen sich auf den Schienen. Im März macht der „Betonblock von Süschendorf“ Schlagzeilen und zwingt den Castor zum Rückwärtsgang. Nach heftigen Eskalationen bei den letzten Castortransporten schickt die Polizei unter dem Motto „wir können auch anders“ erstmals „Konfliktmanager“ auf die Straßen. Weil sie den möglichen GAU in einem AKW durhc die sofortige Abschaltung der Anlagen nicht verhindern, wird in Gusborn der Ehrenfriedhof „Gewissensruhe“ für alle Politiker:innen des Bundestages eröffnet.

Gorleben-Chronik: 2001 – X-tausendmal quer & Widersetzen

vor dreißig Jahren

NUKEM-Skandal, Juni 1991: Blockade des Zwischenlagers. Foto: Günther Zint

Der „Transnuklear-Skandal“ um die sog. Mol- oder Blähfässer sorgt im Sommer für heftige Proteste vor dem Zwischenlager: Im großen Stil brachte damals Transnuklear radioaktive Abfälle aus deutschen Kraftwerken ins belgische Kernforschungszentrum Mol, wo die Abfälle komprimiert oder durch Verbrennung reduziert wurden, um sie lagerfähig zu machen. Eine Betriebsprüfung deckte einen umfassenden Bestechungs- und Vertuschungsskandal auf, Abfallgebinde wurden falsch deklariert und enthielten teilweise hochgiftiges Plutonium.  300 betroffene Fässer befanden sich auch in Gorleben. Als der damalige Bundesumweltminister Töpfer (CDU) am 16. Juni anweist, weitere Mol-Fässer einzulagern, blockieren 200 Menschen und Trecker die Zufahrten zum Zwischenlager. Die drei Transport-LKW werden kurzfristig in der Polizeikaserne Lüchow untergestellt. Am 18. Juni werden die Blockaden von der Polizei „brutal“ geräumt und die LKW auf das Gelände gebracht.

Gorleben-Chronik: 1991 – Mol-Skandal & Baustopp

vor vierzig Jahren

28.& 29.01.1981: Gorleben Hearing in Lüchow, Gildehaus. Fotos: Günter Zint

Die massiven Proteste gegen den Bau des Atomkraftwerk Brokdorf im Februar 1981 sind in die Anti-Atom-Geschichte eingegangen. Ein Argument: die ungelöste „Entsorgung“. Nach Bohrungen in Gorleben wurden die Zweifel an der Eignung des Salzstocks für ein Endlager „größer, nicht kleiner“. Doch Gegner:innen des Projekts seien „Schreihälse, die bald der Geschichte angehören“, meinten Bundeskanzler Helmut Schmidt und Oppositionsführer Helmut Kohl. Ende Januar fand im Gildehaus Lüchow das „Gorleben Hearing“ zum geplanten Bau des Atommüll-Zwischenlagers statt. Eine Propagandaveranstaltung der Atomlobby, die Kritik nicht hörte. Am zweiten Tag verließen die rund 400 Atomkraftgegner:innen geschlossen die Veranstaltung. Sie räumten Tische und Stühle weg, reinigten den Fußboden und gingen nach Hause…

Gorleben-Chronik: 1981 – Die Zweifel in Gorleben werden größer

1977 entschied die Politik, dass Gorleben unweit der damaligen deutsche-deutschen Grenze der Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum werden soll. Ein gigantischer Komplex war geplant. Der Widerstand begann. Verhindert wurde in den folgenden Jahrzehnten sehr viel – aber längst nicht alles. Vergessen dürfen wir nicht, dass im Wald von Gorleben über 100 Castor-Behälter in einer unsicheren Lagerhalle stehen, die geplante Lagerungsdauer von 30 Jahren bald abläuft – und es nirgendwo eine Lösung für diesen hochgefährlichen Abfall gibt.

Doch statt einer sofortigen „Notbremse“: Alle AKW abschalten! wächst der Atommüllberg mit jeder Betriebsstunde Tag für Tag. Auch wenn jetzt einige nach Laufzeitverlängerungen rufen und vorgeben, damit das Klima schützen zu wollen: Ende 2022 wird der letzte deutsche Meiler vom Netz gehen. Die tausenden Tonnen radioaktiver Hinterlassenschaften werden uns – oder besser die Generationen nach uns – noch Jahrtausende beschäftigen. Der aktuelle Versuch, mithilfe eines „Neustarts der Endlagersuche“ irgendwo in Deutschland einen Ort für die „sichere Lagerung über 1 Millionen Jahre“ zu finden, wird scheitern: Es mangelt an Möglichkeiten für öffentliche Beteiligung und Transparenz, Kritik verhallt, betroffene Regionen reagieren reflexartig mit „nicht bei uns!“.

40 Jahre Gorleben haben eigentlich gelehrt, dass Akzeptanz bei den Menschen, die an dem Ort leben, wo der ganze Müll dann irgendwann mal hin soll, das Fundament bilden muss.

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