Stevie

Mach`s gut Stevie

ein selbstbestimmtes Leben ist zu Ende gegangen
Du und dein LKW waren im Gorleben Widerstand immer bereit
Wir sind traurig.

Mach`s gut
Stevie


Stevie ist tod
Ein Nachruf

Kennengelernt habe ich Stevie im Sommer 1980 auf einem Festival im Volkspark Hamburg, wo ich mit Rosi und ein paar Anderen einen fahrbaren Essensstand organisiert hatte. Unser riesiger LKW hatte ein Problem mit dem defekten Anlasser und musste angeschleppt werden, was Stevie mit seinem frisch ausgebauten LKW gerne übernahm. Stevie hatte sich den LKW zugelegt und ausgebaut, um dauerhaft darin zu leben und damit in ganz Europa unterwegs zu sein. Immer wieder war ich im Laufe der Jahre überrascht von seinen genialen Tüfteleien und weiteren Ausbauten seines Gefährts. So konnte er mit dem Kühlwasser seine Fussbodenheizung auch während der Fahrt betreiben und im Stillstand den Holzofen anschliessen.

In Berlin, wohin er regelmäßig zurückkehrte, gab es einen Freundeskreis, die Alle in großen ausgebauten LKW´s lebten und häufig auch zusammen den Winter verbrachten, z. B. am damals noch brachliegenden Potsdamer Platz. Von einem dieser Freunde übernahm Stevie eines Tages dessen handgeschnitzte Inneneinrichtung, die dieser in Thailand hatte anfertigen lassen. „Wende Dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter Dich“ schrieb Stevie auf sein Zu Hause und mit dieser Haltung ging er auch durchs Leben.

1986 feierten wir gemeinsam bei Freunden in der Nähe von Wackersdorf meinen 30. Geburtstag und ich durfte bei der gemeinsamen Rückfahrt nach Berlin trotz Schneesturms den LKW fahren.
In Berlin lernte er Anja kennen und lieben und tourte mit ihr und einer Auto Stunt Show mehrere Jahre hauptsächlich durch Italien. Mitte der Achtziger kam Sohn Linus zur Welt, zu der Zeit stand Stevie häufiger in der Martin-Luther-Strasse in der ich damals wohnte und an Weihnachten immer Weihnachtsbäume verkaufte. So auch 1989 mit Stevie zusammen auf einem Platz zwischen Philharmonie und Staatsbibliothek. Daran kann ich mich insbesondere deshalb gut erinnern, weil am 10. Dezember die Mauer am Brandenburger Tor geöffnet worden war und ich ohne Ausweis über die DDR „einreisen“ und am Checkpoint Charlie wieder “ausreisen“ konnte, was aber länger dauerte, da die Grenzer noch nicht wussten, dass am Brandenburger Tor die Grenze offen war. Nach 10 Jahren war für mich Schluss mit den Weihnachtsbäumen, für Stevie begann in diesem Jahr seine Karriere als Weihnachtsmann.

Als 1993 im Wendland die ersten Castortransporte anrollen sollten, belebten Stevie und ich zusammen das Anti-Atom-Plenum (AAP) wieder, das (nach Tschernobyl mit staatlicher Unterstützung) bis 1990 bestanden hatte. Über mehrere Jahre trafen wir uns jede Woche in der Kurfürstenstrasse und wurden ein wichtiger Anlaufpunkt für den Anti-Atom Widerstand in der Stadt und die Unterstützung im Wendland, wo Stevie später auch hinzog. Das AAP besteht bis heute.

Als Stevies Vater pflegebedürftig wurde, kaufte er einen Anhänger, baute den aus und fuhr mit ihm im Winter nach Spanien.

Immer wenn Stevie in Berlin war, besuchte er uns. Es muss um 2010 herum gewesen sein, als er wieder mal zu Besuch war und feststellte, dass er Wortfindungsstörungen hat, da er mit dem Begriff Fisch nichts anfangen konnte. Daraufhin empfahl ich ihm einen Termin in der Charite, um sich untersuchen zu lassen und tatsächlich stellte sich heraus, dass er beginnenden Alzheimer hat. In den folgenden Jahren bereitete er sich darauf vor, weiterhin ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, auch wenn das Gedächtnis nicht mehr einwandfrei funktioniert. So konnte er sich mittels Handy im Supermarkt und bei der Zubereitung von Speisen orientieren. Ein weiterer wichtiger Baustein seines starken Willens, sich nicht aufzugeben, sondern weiterhin ein selbstbestimmtes Leben zu führen, waren sein Garten, der Anbau von Obst und Gemüse und deren Konservierung.

Äußerst ungewöhnlich in diesen mehr als 14 Jahren war der langsame Verlauf der Krankheit und die damit einhergehende Verschlechterung seines Gedächtnisses. Als er mich irgendwann nicht mehr erkannte, konnte er immerhin noch meine Stimme zuordnen. Als auch das später nicht mehr funktionierte, fand er meinen Namen in seinem Adressbuch und konnte mich dadurch identifizieren.

Bei aller Traurigkeit über seinen Ableben, bin ich trotzdem froh, dass ich ein wenig beitragen konnte, dass das Ende seines Daseins selbstbestimmt in seiner gewohnten Umgebung stattfand und das auch noch in Anwesenheit seiner Angehörigen.

Ich habe zwar einen langjährigen Freund und Wegbegleiter verloren, kann mich aber glücklich schätzen ihn gekannt zu haben. Er war für mich immer ein Mensch, der es wesentlich besser als ich hinbekommen hat, sein Leben autark und unabhängig zu führen, sich niemals auf staatliche Unterstützung eingelassen und dabei meistens gutgelaunt sein Gesicht der Sonne zugewandt hat.

Ciao Stevie!
Sandy, 17.02.2025

Foto: Stay rude – Stay Rebel-Festival, 1995 in Grabow

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