Atomenergie als Diskursprojekt

Eine Veranstaltung mit dem Historiker Frank Uekötter auf Einladung des Gorleben-Archivs und der Regionalen Arbeitsgruppe Wendland Gegen Vergessen – Für Demokratie

Was bleibt vom Atomprotest? Wie hat die nukleare Kontroverse das Land auch für die Zukunft geprägt? Über diese Fragen ging es am 11. Januar in Platenlaase bei einer Diskussionsveranstaltung mit dem Historiker Frank Uekötter, Autor des gerade erschienenen Buches „Atomare Demokratie“. Uekötter, der an der Universität Birmingham lehrt, hatte für sein neues Werk auch in Lüchow im Gorleben Archiv recherchiert. Darin nennt er den Atomausstieg „eine Erfolgsgeschichte der bundesdeutschen Verhandlungsdemokratie“ – eine These, die er in Platenlaase ausführlich begründete. Sein Fazit: Neben zahlreichen internen Problemen der Atomwirtschaft und dem Debakel bei der Entsorgungsfrage war es die „Verstetigung des Atomprotests“, die das Aus für diese Technologie besiegelte.

Aber wie konnte es die Bewegung schaffen, so lange durchzuhalten? Das sei für ihn noch immer ein Mysterium, gab der Historiker freimütig zu. Aber er lieferte auch Erklärungen. Die durch den Atomkonflikt geprägten neuen sozialen Bewegungen seien zwar viel heterogener als die ‚alten‘ Bewegungen. Sie hätten einen ungewöhnlich niedrigen Institutionalisierungsgrad und auch kein koordinierendes Zentrum. Jede Gruppe entscheide für sich selbst. Doch trotz aller Bekenntnisse zur Basisdemokratie habe es eine „Funktionselite des Atomprotests“ gegeben, die einfach weitermachte, obwohl der permanente Widerstand auch jede Menge Stress bedeutete. Die Bewegung habe außerdem schon früh gelernt, mit der Vielfalt in den eigenen Reihen umzugehen. Es gab ein hohes Maß an wissenschaftlicher Kompetenz, neue Protestformen und vor allem eine ausgeprägte „Kultur des Gesprächs“.

Diese Debattenkultur war aus Sicht von Uekötter entscheidend für den Erfolg der Anti-Atom-Bewegung. Die Atomenergie sei ein Diskursprojekt, an dem neben den Demonstranten zahlreiche Akteur*innen beteiligt gewesen seien: Experten und Gegenexperten, Journalisten, Manager, Verwaltungsrichter, politische Entscheider*innen. Und einen Anteil daran hatte nach Meinung von Uekötter auch die die Polizei. Denn anders als etwa in autoritären Staaten habe sie auf die Atomproteste eher besonnen und deeskalierend reagiert. Bei diesem Punkt allerdings gab es vom Publikum deutlichen Widerspruch. Zu tief sitzen bei den Gorleben-Veteranen noch die Erfahrungen von Kriminalisierung und Polizeigewalt. Derartige Vorfälle würde man in den Polizeiakten vermutlich vergeblich suchen, im Gorleben Archiv seien sie dagegen gut dokumentiert. Auch das übrigens nannte der Historiker einen Erfolgsfaktor des Atomprotests – die Fähigkeit, die Eigenerzählung innerhalb der Bewegung lebendig zu halten.

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