Rahmenkonzept für die Zukunft des Gorleben Archivs
Mit dem Thema Gorleben verbindet sich ein wichtiges Kapitel der zeitgenössischen deutschen Geschichte. Die kleine Gemeinde im niedersächsischen Lüchow-Dannenberg wurde nicht nur zum Kristallisationspunkt der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Atomenergie – mit weitreichenden Auswirkungen auf die nationale und europaweite Energiepolitik. Der Name Gorleben steht auch für eine der bedeutendsten und zugleich erstaunlichsten Protestbewegungen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Hier kämpft eine soziale Bewegung quer durch alle Bevölkerungsschichten über einen so langen Zeitraum für ihre Interessen und Rechte – bis heute. Eine Bewegung, die in der vielfältigen Kulturlandschaft Niedersachsens wurzelt, dabei auch selbst auf die Region zurück wirkt und hier während der letzten vierzig Jahre das kulturelle Leben, das Landschaftsbild, die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen nachhaltig beeinflusst hat.
Das Gorleben Archiv hat sich von Anfang an als eine Einrichtung verstanden, die über das reine Dokumentieren und Archivieren hinaus die wissenschaftliche Aufarbeitung des Gorleben-Konflikts vorantreiben und Anstöße zum politischen Handeln geben will. Ziel ist einerseits die wissenschaftliche Aufarbeitung eines der großen gesellschaftlichen Konflikte der deutschen Nachkriegsgeschichte. Zum anderen geht es dem Gorleben Archiv darum, das vorhandene Wissen für künftige Generationen möglichst umfassend zu sichern, damit auch junge Menschen, die nicht mehr zur sogenannten Erlebnisgeneration gehören, aus dem ‚Fall Gorleben’ lernen können. Eine Aufgabe der kulturellen und politischen Bildung, deren Bedeutung gerade durch das verabschiedete Standortauswahlgesetz (StandAG) unterstrichen wird.
Die Auseinandersetzung um Gorleben hat eine Bedeutung für die kulturelle, ökologische und ökonomische Entwicklung der Region, die Einflüsse von Atomindustrie und Protestbewegung auf die Kommunal-, Landes- und Bundespolitik und nicht zuletzt auch auf die außerparlamentarische Bewegung. Das alles sind Aspekte, die Stoff für vielfältige Forschungsansätze bieten. Welche Interessen und Strategien verfolgte die Atomindustrie? Warum ist sie mit ihren Plänen in Gorleben gescheitert? Welche Rolle spielten die Kommunalpolitiker? Wie erklärt es sich, dass der Widerstand gegen die Atomenergie ausgerechnet im dünn besiedelten und strukturschwachen Lüchow-Dannenberg und einen so langen Atem hat und von den Anwohnern vor Ort so breit getragen wird?
Es ist dem Verein ein großes Anliegen, das ihm anvertraute Material langfristig zu sichern und archivgerecht aufzubereiten, so dass Interessierte möglichst schnell und einfach darauf zugreifen können. Die Archivierung, Digitalisierung und Verschlagwortung der zeitgeschichtlichen Dokumente muss vorangetrieben werden und der Bestand so weit wie möglich auch über das Internet verfügbar sein. Außerdem sind Ausstellungen und Workshops, sowie Zeitzeugeninterviews geplant, wobei – wegen des fortgeschrittenen Alters vieler Betroffenen – die Zeit drängt.
Um unsere Aufgaben und Ziele zu verwirklichen, ist es zwingend notwendig, das Gorleben Archiv langfristig zu sichern und konzeptuell weiterzuentwickeln.
Angestrebt wird eine noch intensivere Vernetzung mit Universitäten und anderen Forschungsinstitutionen vor allem zur Bearbeitung politikwissenschaftlicher oder soziologischer Fragestellungen. Das erscheint vor allem deshalb sinnvoll, weil sich heutzutage viele neue oder erweiterte Studiengänge zur Kultur-, Regional- oder Mentalitätsgeschichte auch mit der Geschichte und Identität sozialer Bewegungen befassen.
Diese Überlegungen waren die Grundlage für die Kooperation mit der Leibniz Universität Hannover, speziell dem Historischen Seminar und dem Institut Didaktik der Demokratie. Dieses Rahmenkonzept zeigt keinen eingleisigen Entwicklungspfad, sondern vielmehr Optionen und Möglichkeiten auf. Es ist für uns eine Chance und gute Grundlage um konkrete Projektanträge zu stellen und damit dem Gorleben Archivs eine Weiterentwicklung und Zukunft zu ermöglichen.
P.S. Uns wird ständig neues Material, Vor- und Nachlässe von Privatpersonen und Organisationen, auch aus dem gesamten Bundesgebiet, übergeben.