„Wir stellen uns quer!“ – Vor 25 Jahren fand der erste Castortransport ins Wendland statt

„In jeder Küche kann beim Kuchenbacken mal etwas Backpulver danebengehen!“

Als Atomkraftgegner*innen im Wendland diese Verharmlosung der Risiken eines Castortransports hören, sind sie außer sich. Sie hören den Satz von einer Frau, die Geschichte schreiben sollte: Angela Merkel, im Jahr 1995 frisch „gebackene“ Bundesumweltministerin, findet den Widerstand gegen die Castoren „unverständlich“. Es werde so getan, „als wenn die Welt untergeht“.

Einige Wochen nach Merkels Vereidigung wird bekannt, dass der Castortransport aus dem AKW Philippsburg am 25. April 1995 Gorleben erreichen soll – also einen Tag vor dem neunten Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe. Fauxpas Numero zwei.

Durch den wendländischen Widerstand, der Kontroversen zwischen der Bundesregierung und dem Land Niedersachsen auslöste, verzögerten sich die Castortransporte um ein ganzes Jahrzehnt. Doch im Sommer 1994 ordnet das Bundesamt für Strahlenschutz schließlich die Einlagerung eines ersten Behälters aus dem Atomkraftwerk Philippsburg bei Karlsruhe an. Die Fuhre soll ursprünglich im November kommen, wird jedoch in letzter Sekunde durch das Lüneburger Verwaltungsgericht gestoppt. Der Castor ist nicht vorschriftsgemäß beladen worden. Daraufhin fällt Merkels unselige Bemerkung.

Vier Monate später aber gibt es kein Halten mehr:

Am 24. April kurz nach acht Uhr abends beginnt der Transport mit hochradioaktivem Abfall aus dem Atomkraftwerk Philippsburg seine Fahrt in das Zwischenlager Gorleben. Eine Diesel-Lok der Deutschen Bahn zieht den mit einer Plane abgedeckten Sicherheitsbehälter mit den Brennstäben aus dem Kraftwerksgelände. Gleich zu Beginn der Fahrt muss ein massives Polizeiaufgebot zahlreiche Demonstrant/-innen von den Gleisen fernhalten. Für die Streckensicherung während der Fahrt durch Deutschland sind 8000 Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz (BGS) im Einsatz.

Nach vielen Aktionen im Vorfeld, befindet sich der Landkreis Lüchow-Dannenberg am 25. April im Ausnahmezustand. Sämtliche Schulen sind geschlossen, die Bauern organisieren per Trecker einen Protestmarsch. Zu sehen sind Transparente, zu hören Anti-Atomkraft-Lieder, es brennen Holzstämme auf den Gleisen am Bahnhof Hitzacker, und die zweite Bahnstrecke Uelzen-Dannenberg ist bei Zernien blockiert.

Tausende Polizisten treffen auf Tausende Demonstranten

Die gesamte Castor-Transportstrecke ist Ziel von Anschlägen und Protesten. Gut 2000 Atomkraftgegner*innen im Wendland leisten erbitterten Widerstand und stellen sich quer. Im Schritttempo nähert sich das 125 Tonnen schwere Ungetüm mit der gefährlichen Fracht zuerst per Bahn, später per LKW seinem Ziel. Nach 14 Stunden Zugfahrt und 580 Kilometern Strecke trifft der Castorbehälter aus dem baden-württembergischen AKW schließlich am Verladebahnhof Dannenberg-Ost ein. Gegen Mittag wird der Behälter auf einen Straßen-Tieflader verladen und tritt die letzten rund 20 Kilometer nach Gorleben an. 6500 Beamt*innen von Polizei und BGS bahnen dem Transport mit Schlagstöcken, Wasserwerfern und resolutem Wegschleppen von Demonstrant/-innen den Weg.

Es ist 17.12 Uhr als sich hinter dem ersten Castorbehälter, der je nach Gorleben fuhr, die Tore des Zwischenlagers in Gorleben schließen. Ein Vierteljahrhundert ist das jetzt her, und der Behälter steht immer noch in der „Kartoffelscheune“.

Bundesweit protestierten 1995 etwa 4000 Atomkraftgegner*innen. Insgesamt waren 15 000 Polizisten im Einsatz – der bis dahin größte Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik sollte später nur noch von denen zu weiteren Atommüllfuhren übertroffen werden.

Dieser erste Castortransport kostete den Steuerzahler rund 55 Millionen Mark (22,5 Mio. Euro), also etwa 100 000 Mark (50 000 Euro) je km.

Gleich nachdem der Castor in Gorleben abgeladen war, kündigte das Bundesumweltministerium unter Angela Merkel an, bis Jahresende werde weiterer hochradioaktiver Atommüll aus dem AKW Biblis und dem AKW Gundremmingen folgen.

Birgit Huneke, Gorleben-Archiv e.V.
Bilder: Günter Zint

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