Gorleben-Chronik
2019
Gorleben Chronik 2019
Am 1. Januar versammeln sich an den Gorlebener Atomanlagen etwa 100 Menschen zum „Neujahrsempfang“ der BI.
Mit dem Jahreswechsel übernimmt die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlager (BGZ) die Standortzwischenlager an den Atomkraftwerken – bis auf das in Brunsbüttel. Dort braucht es ein neues Genehnigungsverfahren.
„Die staatlichen Einrichtungen betonen, alles sei im grünen Bereich, und verweisen auf neue Genehmigungsverfahren, die in Gorleben und Ahaus irgendwann notwendig werden, weil die Lagergenehmigungen in den 30er Jahren auslaufen. Es bleibt also alles beim Alten. Wir aber sind sicher, dass die erste Generation der Zwischenlager wie in Ahaus und Gorleben mit ihren dünnen Wänden schon heute nicht mehr genehmigungsfähig wären“, so BI-Pressesprecher Wolfgang Ehmke.
Zum Jahresbeginn startete die Öko-/Politfilmreihe der Bürgerinitiative Umweltschutz am 8. Januar mit einem mutmachenden Film: „Climate Warriors“ – die Energiewende ist technisch möglich. Und doch wird sie nicht umgesetzt. Menschliche Gier und ungerechte Machtverhältnisse stehen ihr im Weg.
In der WDR Lokalzeit Münsterland vom 11. Januar berichtet der WDR von einem Antrag der Betreibergesellschaft des Brennelemente Zwischenlagers in Ahaus, den schwach- und mittelradioaktiven Atommüll bis 2057 dort zu belassen. Das sind 37 Jahre mehr als bisher genehmigt.
Am 15. Januar reichen die Anwälte der BI eine Klageerwiderung beim Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) ein. Hintergrund ist die Debatte um die Frage, ob die Zwischenlager für hoch radioaktive Abfälle über die genehmigten 40 Betriebsjahre hinaus problemlos weiter betrieben werden können. Durch einen Beitrag in der Gorleben Rundschau und zwei Artikel auf unserer Homepage sieht sich der Präsident des BfE, Wolfram König, verunglimpft. Wegen der Abmahnung fordert der Anwalt des BfE bereits über 1.300 Euro von der BI.
„Die Härte, mit der hier die Bundesbehörde gegen uns als Bürgerinitiative vorgeht, können wir nur dahingehend deuten, dass man uns mundtot machen will. Schließlich sind wir am Standort Gorleben doppelt betroffen und gefordert: Gorleben ist Zwischenlagerstandort und immer noch ein Favorit, wenn es um die Festlegung auf einen Endlagerstandort geht“, so BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.
Im Januar stirbt Marianne von Alemann, die eine besondere Persönlichkeit für den Gorleben-Widerstand war. Jahrelang hat sie ihre Stimme für eine strahlenfreie Zukunft erhoben.
Januar: Viele Jahrelang hatten die Widerständler nach zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen gegen Terrorangriffe gefragt und erst jetzt sollen die Zwischenlager der ersten Generation in Ahaus und Gorleben „nachgerüstet“ werden.
22. Februar: Die Aktion „fridaysforfuture“ ist im Wendland angekommen. In Lüchow und Dannenberg versammelten sich Hunderte von SchülerInnen und gingen auf die Straße um für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit zu kämpfen. Zehntausende in Deutschland tun dasselbe.
25. Februar: Der Archäologie-Doktorand Atilla Dészi präsentiert in Platenlaase Fundstücke seiner Grabungen auf dem Gelände des ehemaligen Atomprotest-Hüttendorfes 1004 bei Gorleben.
Am 26. März wird im historischen Museum in Hannover die Ausstellung „ Trecker nach Hannover. Gorleben und die Bewegung zum Atomausstieg.“ eröffnet. In Zusammenarbeit mit dem Gorlebenarchiv zeigt das Historische Museum eine Ausstellung, die mit dem Institut für Didaktik der Demokratie und Studenten des historischen Seminars der Leibniz-Uni Hannover erarbeitet wurde. Das Gorlebenarchiv stellt dafür Bilder, Schriftstücke und Gegenstände aus seinem Fundus zur Verfügung.
Und am 31. März findet im Kreishaus Lüchow die Eröffnung der Ausstellung „Gorlebentreck – 40 Jahre danach“ statt. Zwei Dutzend Zeitzeugen erinnern sich an das Wendland vor dem Treck, an den Treck selbst und berichten von den Veränderungen, die das Wendland und sie selbst an sich erfahren haben. Die Ausstellung ist bis zum 30. Juni in Lüchow zu sehen und soll dann als Wanderausstellung an anderen Orten gezeigt werden.
Am Montag den 15. April wird ein Teil des Metallzauns um das Endlagerbergwerk symbolisch abgerissen. Der Standort Gorleben bleibt jedoch bestehen. Eine letzte Fahrt in das Endlagerbergwerk markiert ein Etappenziel: von nun an wird das Bergwerk in einen Stand-By-Betrieb überführt, denn Gorleben ist bei der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle laut Gesetz weiter gesetzt. Das Wendland bleibt auf der Hut.
30. April: Am Gründonnerstag stirbt Martin Lemke, Freund und Anwalt der Gorleben und Anti-Atom Protest Bewegung. Am 23. Juni wird für ihn in Meuchefitz ein Apfelbaum gepflanzt.
Am 31. Mai gibt die BGE bekannt dass es im Schacht KONRAD am 14. Mai zu einem Brand unter Tage an den alten Holzeinbauten gekommen ist.
Am 26. Mai findet der 500. Sonntagsspaziergang statt. Pünktlich um 13:00 Uhr umrunden rund 60 Spaziergänger*innen die Mauer des Erkundungsbergwerkes Gorleben. Im Anschluss stößt man auf diejenigen die auf dem Weg zum Gorlebener Gebet sind, welches ebenfalls „nullt“ und auf 30 Jahre ununterbrochene Treffen zusteuert.
30 Jahre Kulturelle Landpartie
Die Kulturelle Landpartie feiert ihren 30. Geburtstag und im Rahmen der KLP findet auch am 7. Juni wieder der „Gorlebentag“ statt. Tausende von Menschen kommen zu polit-talks, gutem Essen, Musik und Treckerfahrten ums Erkundungsbergwerk um gemeinsam für den Klimaschutz und Klimagerechtigkeit zu kämpfen. Begrüßt werden die Besucher mit einer Modenschau der KLP und später geht es weiter mit einem Protestmarsch ums Erkundungsbergwerk. Klar ist: Die Frage nach einem sicheren Atommülllager ist noch nicht geklärt. Klar ist auch: Gorleben ist nicht sicher und dennoch noch immer nicht vom Tisch.
13. Juni: Im April wurde ein Teil des Metallzauns um das Erkundungsbergwerk symbolisch abgerissen. Eigentlich dachte man jetzt würde alles schnell gehen doch bis zum kompletten Abriss der Mauer wird noch Zeit vergehen. Die BGE teilt mit dass sie noch mit den vorbereitenden Maßnahmen beschäftigt seien. Ziel sei es jedoch die Mauer bis Ende des Jahres abzureißen.
Mitte Juni: Zwischenlagerung von Atommüll in Ahaus soll verlängert werden.
Thomas Schwark, Direktor des Historischen Museums Hannover, macht Reklame für die Veranstaltung des BfE welche am 17. Juni im Historischen Museum Hannover stattfinden soll. Betreff: Nukleares Endlager gesucht. Der BI und dem Gorleben Archiv wurde eine Veranstaltung zu diesem Thema nicht erlaubt, weil politische Themen dort nicht erwünscht seien: „Wir sind gehalten, keine Veranstaltungen mit einem aktuellen politischen Diskurs vor dem Termin der Europawahl bei uns im Haus durchzuführen oder stattfinden zu lassen. Es ist mir aber auch nicht möglich, Ihnen während der Laufzeit einen anderen Termin nach dem 26.05. anzubieten.“
19. Juni: Etliche Umweltorganisationen, darunter auch die BIU, zeigen sich solidarisch mit der Partnerorganisation Ecodefense, gegen die der russische Staat am 30. Mai fünf Strafverfahren eingeleitet hat. Hintergrund des Verfahrens sind angeblich nicht erfüllte Auflagen im Rahmen der umstrittenen „Auslandsagenten“-Gesetzes. Der Geschäftsführerin der russischen NGO Ecodefense droht nun eine Gefängnisstrafe von 2 Jahren weshalb sie in Deutschland politisches Asyl beantragt hat.
29. Juni: Zukünftig will sich das NMU ihre Auskünfte zur Atompolitik an die BI bezahlen lassen. Die Pressestelle des NMU warnt jetzt: „So wird die Erteilung einer schriftlichen Auskunft mit einem Bearbeitungsaufwand von mind. Einer halben Stunde dem Auskunftsersuchenden mit 25 bis 500 Euro Kosten in Rechnung gestellt.“
August: Die Schutzmauer rund um das Erkundungsbergwerk Gorleben ist abgerissen. Die Anlage ist nun nur noch eingezäunt.
Die ganze Geschichte:
…und davor – Die Anfänge bis 1972
Die Anfänge: Erste Überlegungen, Atommüll in Salz zu lagern – statt ihn in der Tiefsee zu versenken. Gasexplosion im Salzstock Gorleben-Rambow.

1973 – Zwei AKW für das Wendland
1973 werden die Pläne bekannt, bei Langendorf an der Elbe ein Atomkraftwerk zu bauen. In der Debatte um einen Standort für ein Atommüll-Endlager bzw. die Errichtung eines Entsorgungszentrums spielt Gorleben 1973 offiziell keine Rolle.
1974 – Erste Standortsuche ohne Gorleben
Die Standortsuche für ein Atommülllager beginnt. Das Credo: So lange die Anlage genug Platz hatte und niemanden störte, war alles gut.

1975 – Großer Waldbrand bei Trebel
Im August 1975 bricht bei Trebel ein großer Waldbrand aus. Die Bundesregierung geht bei der Standortsuche für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) davon aus, dass mehrere Salzstöcke parallel untersucht werden müssten. Gorleben gehört nicht dazu.

1976 – Der Standort „Gorleben“ taucht auf
(…) In einer zweiten Version der TÜV-Studie wurde handschriftlich der Standort Gorleben ergänzt und als am besten geeignet befunden. (…)

1977 – Das Jahr der Standortbenennung
Nach der Benennung Gorlebens als Standort für ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ finden erste Großdemonstrationen statt.

1978 – Ein Koffer voll Geld
Innerhalb von 5 Tagen sammeln Gorleben-Gegner*innen 800.000 DM, um der DWK beim Kauf weiterer Grundstücke über dem Salzstock Gorleben zuvor zukommen.

1979 – Treck nach Hannover – WAA „nicht durchsetzbar“
Im März 1979 findet der legendäre „Treck nach Hannover“ statt. Nach einer Großdemonstration in der Landeshauptstadt verkündet der Ministerpräsident das Aus für die WAA-Pläne in Gorleben.

1980 – „Republik Freies Wendland“
Platzbesetzung der Bohrstelle Gorleben 1004 und Gründung der „Republik Freies Wendland“. Die Räumung nach vier Wochen wird zum größten Polizeieinsatz in der Geschichte der BRD.

1981 – Die Zweifel in Gorleben werden größer, nicht kleiner
Gorleben-Hearing in Lüchow zum Bau des Zwischenlagers und massiver Protest gegen das AKW Brokdorf. Nach Bohrungen werden die Zweifel an der Eignung des Salzstock Gorleben für ein Endlager „größer, nicht kleiner“. Doch Gegner*innen des Projekts seien „Schreihälse, die bald der Geschichte angehören“, meinen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Oppositionsführer Helmut Kohl.

1982 – „Tanz auf dem Vulkan“
Der Zwischenlagerbau beginnt, Tanz auf dem Vulkan und plötzlich ist das Wendland mit Dragahn wieder als ein WAA-Standort im Gespräch.

1983 – Dragahn: Eine WAA wird verhindert
Proteste gegen die Pläne, in Dragahn eine WAA zu errichten. „Gorleben statt Kreta“ und Demos im Grenzgebiet zwischen der DDR und BRD. Das Bundeskabinett unter Helmut Kohl stimmt der „untertägigen Erkundung“ des Salzstocks Gorleben zu.

1984 – Menschenkette und Tag X
„Das Vertrauen hat sehr gelitten“: Menschenkette und Wendland-Blockade gegen die WAA-Pläne. Unter erheblichem Protest erreicht ein erster Atommülltransport das Fasslager Gorleben.
1985 – „Spudok“-Affäre und Kreuzweg
Der erste Kreuzweg führt vom AKW Krümmel nach Gorleben. Nach Anschlägen auf die Bahn werden die Daten von tausenden Gorleben-Gegner*innen von der Polizei gespeichert – und damit eine ganze Szene pauschal kriminalisiert.
1986 – Tschernobyl
Heftige Auseinandersetzungen um den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und die Inbetriebnahme des AKW Brokdorf. Nach dem GAU von Tschernobyl protestieren zehntausende Menschen gegen die Atomenergie.
1987 – 10 Jahre Gorleben
„Transnuklearskandal“ betrifft auch Atommüll im Zwischenlager Gorleben. Schwerer Unfall in Schacht 1.
1988 – „Wir stellen uns quer!“
Kreuzweg der Schöpfung führt von Wackersdorf nach Gorleben, Schmiergeldskandal, „Wir stellen uns quer“ – Proteste gegen den ersten Probecastor ins Zwischenlager.
1989 – Castor-Alarm im Wendland
Das Aus für die WAA Wackersdorf, Castor-Alarm: erster Atommülltransport nach Gorleben wird wenige Stunden vor Abfahrt gerichtlich gestoppt.
1990 – PKA-Bauplatz- und Turmbesetzung
„Ein Hauch der Freien Republik Wendland wehte durch den Gorlebener Tann…“, als auf dem Bauplatz der PKA Hütten errichtet werden. Aktivist*innen besetzen im Sommer den Förderturm in Gorleben, zum Jahresende Baustopp und SPD-Versprechen.
1991 – Mol-Skandal & Baustopp
Anlieferung von Mol-Container, PKA-Bauplatzbesetzung, erneuter „Castor-Alarm“ und nächster Baustopp im Erkundungsbergwerk.
1992 – Viel Geld für den Landkreis
Resolution gegen und eine Mehrzweckhalle für Gorleben, Erweiterung des Zwischenlagers und viel Geld für den Landkreis.
1993 – CASTOR-HALLE-LUJA und Endlagerhearing
Sitzblockaden gegen Atommüll-Lieferungen, „Wege aus der Gorleben-Salzstock-Sackgasse“, Energiekonsens-Gespräche und hohes Bussgeld gegen Turmbesetzer*innen.
1994 – Pleiten, Pech und Pannen: „Castornix“
Widerstandscamp „Castornix“ und erhebliche Proteste gegen ersten Castortransport, der wegen technischer Mängel dann abgesagt wird. Weiterbau der PKA per Weisung.

1995 – Tag X, Backpulver & Stay rude-stay rebel
Anschläge auf Bahn & Kran, die Aktion „ausrangiert“ will den ersten Castor empfangen, Bundesumweltministerin Merkel macht den absurden Backpulver-Vergleich & der Baustopp im Bergwerk wird aufgehoben.
1996 – „Wir stellen uns quer!“
10 Jahre nach Tschernobyl, „Wir stellen uns quer!“ gegen den zweiten Castor nach Gorleben.

1997 – Stunkparade gegen Sixpack
Gewaltsame Räumung für den dritten Castor, Griefahn knickt ein & mehr Geld von der BLG.
1998 – Castor-Skandal und TagX4 in Ahaus
Einwendungen gegen die PKA, Castortransport nach Ahaus, Transportestopp nach verstrahlten Behältern, Einstieg in den Atomausstieg und Moratorium im Salzstock.
1999 – „Gerhard, wir kommen“ & X-tausendmal quer
„Flickschusterei“ um Atomausstieg & AkEnd, Stunkparade nach Berlin und die Ankündigung, dass sich beim nächsten Castor X-tausend Menschen querstellen werden.

2000 – Atomkonsens & Moratorium
Defekte Brücke und unsichere Behälter verhindern Castorlieferung, Atomkonsens „alles Lüge“, denn er sichert den Weiterbetrieb der AKW und Moratorium im Salzstock.

2001 – X-tausendmal quer & Widersetzen
Zwei Atommülltransporte rollen nach Gorleben, einer im März, ein zweiter im November. X-tausend Menschen stellen sich quer und WiderSetzen sich. Der Betonblock von Süschendorf zwingt den Castor zum Rückwärtsgang. Der Widerstand bekommt ein Archiv, die Bundestagsabgeordneten ein Denkmal, die „Gewissensruhe“.