Gorleben-Chronik
2008 - Asse-2 säuft ab
Endlager-Symposium & Probebohrungen in Hamburg, absaufende Asse-2, 1 Millionen Jahre Endlager-Sicherheit und ein nächster Castortransport im November.

Am 12. Januar stehen die rechtlichen Entwicklungen um eine Blockade bei Pudripp beim Castortransport 2006 im Mittelpunkt einer Verstaltung des Ermittlungsausschusses im Platenlaaser Cafe Grenzbereiche.
Nach der Veröffentlichung der "KIKK-Studie" zu Leukämie rund um Atomanlagen beschäftigt sich Mitte Januar auch der Lüchow-Dannenberger Kreisatomausschuss mit dem Thema: Könnten sich mit der Studie Folgerungen auf das Zwischenlager Gorleben ergeben? Und was ist überhaupt mit einem Krebsregister für Lüchow-Dannenberg? Das gibt es nämlich immer noch nicht.
Der Erkundungsbereich 1 im Bergwerk Gorleben sei nicht entgegen ursprünglicher Planungen von Ost nach West verschwenkt worden, dementiert das Bundesamt für Strahlenschutz am 18. Januar Mutmaßungen aus dem Wendland. Es habe "bedauerlicherweise ein redaktionelles Versehen" im BfS-Jahresbericht 2005 gegeben, das dieses Rückschluss zugelassen habe. Dort habe es die "irreführende Angabe" gegeben, der Erkundungsbereich 1 befinde sich nordöstlich der Schächte 1 und 2. Die korrekte Lage des Erkundungsbereichs 1 befinde sich aber tatsächlich nordwestlich der beiden Schächte, unterstreicht das Bundesamt. (EJZ)
Am 29. März findet im Saal der „Bauernstuben“ in Trebel die Mitgliederversammlung der Bürgerinitiative statt. Die BI habe das Heft des Handelns aus der Hand gegeben, kritisiert Wolfgang Ehmke die Vorstandsarbeit. Die Positionen seien mit zu vielen Scheuklappen versehen. "Dabei läuft uns die Zeit weg." Gorleben sei in der BI-Arbeit "hinten runter gefallen", mehrere Kritiker bemängeln die Schwerpunkte der BI-Tätigkeit. Ehmke zweifelte, ob der G8-Gipfel das "richtige Engagement" war. Schwerpunkt muss nach Ansicht der Vorstandskritiker Gorleben sein. Doch wie gelingt es, Gorleben wieder zu einem großen Thema zu machen? Wenn man bei dieser Frage hilflos sei, müsse man sich das eingestehen, meint Martin Donat. Viele Kritikpunkte würden innerhalb des Vorstandes geteilt, erklärt die Vorsitzende Kerstin Rudek. Die Wahlen eines neuen Vorstands werden um vier Wochen verschoben. (EJZ)
Anfang April lehnt Bundesumweltminister Gabriel eine Laufzeitverlängerung für das AKW Biblis-A endgültig ab. Biblis A verfüge über weniger Sicherheitsreserven als das AKW Emsland, von dem RWE eine Strommenge von 30 Terawattstunden (TWh) übertragen wollte. Das Umweltbundesamt widerspricht Aussagen der Deutsche Energie-Agentur (Dena): die deutsche Stromversorgung sei bei planmäßigem Festhalten am Atomausstieg nicht gefährdet. In 2007 produzierten die deutschen AKW nur 140,5 Terawattstunden (TWh) brutto. Damit liegt die Atomstromproduktion auf dem niedrigsten Stand seit 1987.
Anfang Mai gibt die Ehrenvorsitzende der Bürgerinitiative Umweltschutz (BI), Marianne Fritzen, ihren Ehrentitel ab. Grund dafür ist die strategische Ausrichtung der BI. Eine "Ehre", dem Verein in seiner "jetzigen politischen Zielrichtung zu dienen, ist für mich nicht mehr tragbar", begründet Fritzen ihren Rückzug von diesem Amt. Die jüngste Mitgliederversammlung der BI "hat mir noch einmal ganz deutlich vor Augen geführt, dass die Art und Weise, wie mit den Mitgliedern umgegangen wird, die eine andere Meinung als der Gesamtvorstand vertreten, und wie deren Kritik beziehungsweise Wünsche mit Füßen getreten werden, weit entfernt ist von dem, was ich unter Wahrung der Grundrechte und Demokratie verstehe". (EJZ)
Kulturelle Landpartie: Am Pfingstsonntag (11. Mai) lädt Salinas zu Informationen, Spaziergängen und Fahrradtouren rund um den Standort Gorleben ein. Lilo Wollny, Gorleben-Widerständlerin der ersten Stunde, berichtet über ihre Jahrzehnte langen Erfahrungen mit den Atompolitikern und Betreibern: Landbesitzer wurden genötigt, kritische Wissenschaftler diffamiert und Kommunalpolitiker mit Millionen geködert. Gutachten verschwanden auf Nimmerwiedersehen, Genehmigungen wurden aus dem Hut gezaubert, notfalls die Gesetze einfach umgeschrieben.
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) genehmigt am 14. Mai einen weiteren Rücktransport von hochradioaktiven Abfällen aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague nach Deutschland. Die Abfälle, die in diesem Jahr transportiert werden, haben eine höhere Strahlung und entwickeln deshalb mehr Wärme. Deshalb war es notwendig, anstelle der bislang benutzten deutschen Castor-Behälters HAW 20/28 CG den neuen Behältertyp TN85 der französischen Firma TN International zu verwenden, der speziell für den Transport dieser Abfälle nach Deutschland konstruiert wurde. Ein für 2009 geplanter Transport mit dem deutschen Behältertyp CASTOR HAW 28M mußte abgesagt werden, weil die Herstellerfirma die erforderlichen Sicherheitsnachweise nicht rechtzeitig erbringen konnte.
Endlager Asse-2 säuft ab
Im Juni wird bekannt, dass in dem als Forschungsanlage für schwach- und mittelradioaktiven Müll deklarierten Endlager Asse II täglich 12 Kubikmeter Wasser eindringt. In dem maroden Lager haben sich große Mengen radioaktiv verseuchte Lauge angesammelt, die seit Jahren ohne Genehmigung in benachbarte Hohlräume gepumpt werden. Außerdem liegen in der Asse - verteilt auf 126.000 Atommüllfässer - mindestens 29 Kilo hochgiftiges Plutonium: drei Mal mehr, als der langjährige Betreiber, das Helmholtz-Zentrum München, ursprünglich angegeben hatte. Niemand weiß, was damit geschehen soll. Nur scheibchenweise kommt das ganze Ausmaß des Desasters ans Licht. Und es sind dieselben politischen Entscheidungsträger und Gutachter, die sowohl für den Asse-Skandal als auch für den Standort Gorleben verantwortlich sind.
Am 30. Juni findet die konstituierende Sitzung der von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel berufenen, neuen "Entsorgungskommission" (ESK) in Bonn statt. Künftig sollen die elf Wissenschaftler*innen das Bundesumweltministerium in allen Angelegenheiten der nuklearen Entsorgung beraten.
Am 3. Juli veröffentlicht die EU-Kommission das Ergebnis einer Umfrage, wonach 91 Prozent der EU-Bürger ihr die Überwachung des nationalen Umgangs mit Atommüll übertragen möchten. In Deutschland sei die Zustimmung mit insgesamt 98 Prozent am stärksten. Ziel der Kommission ist ein "europaweites Konzept für Atommüll".
In dem seit zwölf Jahren andauernden Rechtsstreit um das geplante Endlager Gorleben urteilt das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht am 17. Juli zugunsten des Bundesamtes für Strahlenschutz: Die Endlagerung in Gorleben sei wichtiger als die Salzrechte des Grundbesitzers Andreas Graf von Bernstorff. Das Gericht betont das öffentliche Interesse an der Möglichkeit einer weiteren Erkundung des Salzstocks. Das Interesse des Klägers an der Gewinnung von Salz sei "weniger gewichtig".
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) läßt ein energiepolitisches Programm erarbeiten, das eine Verlängerung der Restlaufzeiten der Atokraftwerke um acht auf etwa 40 Jahre empfiehlt. Bei einem Wahlsieg der Union solle der Atomausstieg rückgängig gemacht und das geltende Atomgesetz durch ein Kernenergie-Nutzungsgesetz ersetzen werden. (Tagesspiegel, 5. August)
Sicherheit für 1 Millionen Jahre
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) veröffentlicht am 12. August einen Entwurf für strengere Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung von hochradioaktiven Abfällen. Demnach solle der zuverlässige Einschluß der radioaktiven Abfälle für eine Million Jahre sichergestellt sein, die Abfallbehälter so stabil sein, daß die Abfälle für mindestens 500 Jahre darin verbleiben können. Eine Rückholung der Abfälle aus dem stillgelegten und verschlossenen Endlager durch künftige Generationen dürfe "nicht unnötig erschwert werden". Die geltenden Sicherheitskriterien von 1983 entsprächen nicht mehr dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik.
Am 18. August findet in Hamburg-Altona im Rahmen des Klimacamps ein Aktionstag zum Thema Atommüll-Endlagerung statt: Die "Münchhausen - Gesellschaft zur Förderung von Akzeptanz-Problemen" erkundet in einem aufwändigen Programm den Salzstock in Hamburg-Altona daraufhin, ob er sich wohl als Endlager für Atommüll eignet. Dafür bauen Aktivist*innen von den tatsächlichen Atommüll-Standorten Gorleben, Morsleben, Asse und Schacht Konrad eine Installation auf dem Altonaer Spritzenplatz auf: ein "Bohrturm", der Untergrund wird mit Hilfe einer Rüttelplatte seismografisch abgetastet. Zeitgleich sind Teilnehmer*innen des Camps mit öffentlichen Verkehrsmitteln quer durch Hamburg unterwegs; im Gepäck: 200-Liter-Fässer mit Atommüll.
Das Endlager Asse-2 wird künftig vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) betrieben und vom Bundesumweltministerium (mit Steuergeldern) finanziert. Darauf einigten sich Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) und der niedersächsische Umweltminister Hans Heinrich Sander (FDP) am 4. September bei einem Spitzengespräch in Berlin. Abgelöst wird der Betreiber Helmholtz-Zentrum München als Nachfolger der ehemaligen Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF).
Großpuppen gegen den Castor
"Wer ist Mensch, wer ist Puppe, wer ist Marionette, wer zieht die Fäden?" Großen Strohpuppen bereichern das Bild des Widerstands gegen die Atommülltransporte. Am 5. Oktober wurden erste Puppen gebaut, die auf der Stuhlprobe vor dem Verladekran, beim "WidersTanz" in den nächsten Wochen an der Schienenstrecke, oder vielleicht auch ganz unerwartet an unbekannten Orten auftauchen werden. "Wir lassen die Puppen tanzen", so das Motto der etwa 30 Menschen, die etlichen Puppen "Leben" und Individualität eingehaucht hatten.
Die erste der traditionellen "Stuhlproben", organisiert von den militanten "Grauen Zellen" des Gorleben-Widerstand, findet am 12. Oktober auf der Zufahrtstraße des Verladekrans in Dannenberg statt.
"Doch dann kommen auch deren Zieh-Mütter und -Väter. Mit den Stühlen, denn auf der Straße sitzen wollen und können sie auch nicht mehr, die „grau“ geworden sind im jahrzehntelangen Kampf gegen die Antomanlagen im Wendland. Grau ja, aber nicht untätig. Sie werden immer mehr, so 60 bis 70 sind sie schließlich. Im Kreis sitzen sie, singen gar, die „Alten“, ihre alten Lieder vom Widerstand. So nett, so passend das Bild, „die tun nix“, wie ihre Hunde, die zwischen ihren Enkelkindern herumlaufen." (castor.de)
Die Puppen tanzen auf der Schiene
Am 12. Oktober wird in Hitzacker zum "WidersTanz" aufgespielt, mit Geige und Schifferklavier, Musik bringt Menschen und Puppen in Bewegung. Gut 200 Menschen nehmen teil.
Oktober - Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, stellt "aus meiner Verantwortung für die grundlagenorientierte Endlagerforschung" fest, "daß die Endlagerfrage in Deutschland technisch gelöst ist", dementsprechend "wäre die Inbetriebnahme des Endlagers im Salzstock Gorleben etwa im Jahr 2025 möglich" (BMWi 2008) und legt mit bestellten Gutachten der GRS und des Öko-Instituts noch einmal nach (GRS 2008)
Am 25. Oktober demonstrieren in Uelzen Atomkraftgegner*innen gegen den erwarteten Castortransport nach Gorleben.
Endlagersymposium
Nicht zuletzt auf Drängen des Gorlebener Widerstands veranstaltet das Bundesumweltministerium vom 30. Oktober bis 01. November in Berlin eine große Endlager-Konferenz mit Beteiligung von Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland.
Mitglieder der Umweltorganisation Robin Wood waren am Freitagmittag auf das Dach des Tagungsgebäudes in Berlin-Wilmersdorf geklettert. An der Fassade hatten sie ein Transparent mit Parolen gegen ein Atommüll-Endlager in Gorleben angebracht. In weiße Gewänder gehüllte Demonstranten zogen singend durch das Treppenhaus. In den Räumen stritten sich derweil die Fachleute darüber, ob das nationale Endlager für hochradioaktive Abfälle in Gorleben oder anderswo gebaut werden soll. (tagesspiegel.de)
Die große Mehrheit der dort versammelten über 350 Experten*innen fordert bei der Suche nach einem Endlagerstandort einen Neuanfang nach internationalem Standard. Das Auswahlverfahren müsse ergebnisoffen sein und auf der Grundlage klarer Sicherheitskriterien erfolgen. Dabei müssten mehrere Standorte miteinander verglichen und die Öffentlichkeit beteiligt werden - so wie es der AkEnd bereits 2002 vorgeschlagen hatte. Zentrale Botschaft: "Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung" sollen künftig groß geschrieben werden!
Unionsparteien und Wirtschaft wollen den Salzstock Gorleben "zu Ende erkunden", die SPD, Grüne und Linke fordern die Benennung und Exploration alternativer Standorte bzw. den Vergleich verschiedener Lagergesteine wie Salz, Ton und Granit, die Umweltverbände und die Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) Lüchow-Dannenberg wollen einem Standortvergleich nur zustimmen, wenn der Atomausstieg festgezurrt und das geologisch-politisch "verbrannte Gorleben" nicht weiter im Pool bleibt.
Parallel zu Protesten in Berlin mauern Aktivist*innen von Robin Wood am 31. Oktober den Eingang zum Gorlebener Endlagerbergwerk und besetzen den Förderturm im Atommülllager Asse. "Wir wollen damit auf Parallelen zwischen den beiden Standorten hinweisen und Konsequenzen aus der Asse für Gorleben anmahnen", so Dirk Seifert von Robin Wood.
Gleich drei Brücken auf der Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg besetzen Aktivist*innen von Robin Wood am 6. November gleichzeitig aus Protest gegen den erwarteten Atommülltransport.
Castor-Proteste
Am 8. November demonstrieren über 16.000 Menschen in Gorleben gegen die Atomkraft. Es war die größte Anti-Atom-Kundgebung seit den Protesten im März 2001. Die politischen Debatten, den Atomausstieg aufzuheben, sorgen für größeren Zulauf.
Schienenblockaden sorgen für die längste Transportdauer von 79 Stunden der 11 französischen Behälter mit hochradioaktiven Abfällen von Frankreich nach Gorleben. Schon an der Grenze kommt es zu einer rund zwölfstündigen Verzögerung. Am 9. November besetzen mehrere hundert Demonstrant*innen an verschiedenen Stellen die Gleise der Schienenstrecke Lüneburg - Dannenberg.
Die Behälter erhöhen bei ihrer Ankunft im Bahnhof Dannenberg nach Messungen von Greenpeace die Strahlenbelastung durch Neutronenstrahlen auf das 320-fache. Das Gewerbeaufsichtsamt leiht sich die Messgeräte vom Betreiber des Zwischenlagers, misst willkürlich drei Transportbehälter, kann dann aber nicht mehr sagen, welche.
Acht in zwei Betonpyramiden angekettete Mitglieder der bäuerlichen Notgemeinschaft verzögern den Straßentransport in das Zwischenlager Gorleben noch einmal um 24 Stunden.
Bundesweit werden rund 18.000 Polizisten entlang der Bahn- und Straßenstrecke eingesetzt.
Am 12. November weist das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Einrichtung von Zwischenlagern an allen Standorten von Atomkraftwerken ab. Das Bundesverfassungsgericht habe die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden, heißt es in der Begründung. Die Beschwerdeführer würden auch nicht in ihren Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit und effektiven Rechtsschutz verletzt. Das Individualrisiko des Einzelnen werde durch die größere Anzahl von Zwischenlagerstandorten weder erhöht noch vermindert. Das verbleibende Restrisiko sei als sozialadäquat hinzunehmen.
Das Bundeskabinett beschließt am 19. November auf Vorschlag von Bundesumweltministers die Änderung des Atomgesetzes. Damit wird zum 1. Januar 2009 der vereinbarten Betreiberwechsel bei der Schachtanlage Asse II und die beabsichtigte Umwandlung des bisherigen "Forschungsprojekts" in ein Endlager rechtlich abgesichert.
Anlässlich einer Einweihungsfeier besucht Bundesumweltminister Sigmar Gabriel am 6. Dezember Bad Bevensen. Die BI gegen Atomanlagen Uelzen und die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg nehmen dies zum Anlass, ihm zwei offene Briefe zu übergeben. Gabriel solle Fragen zur radioaktiven Strahlung aus den Castorbehältern beantworten.
Die ganze Geschichte:
…und davor – Die Anfänge bis 1972
Die Anfänge: Erste Überlegungen, Atommüll in Salz zu lagern – statt ihn in der Tiefsee zu versenken. Gasexplosion im Salzstock Gorleben-Rambow.

1973 – Zwei AKW für das Wendland
1973 werden die Pläne bekannt, bei Langendorf an der Elbe ein Atomkraftwerk zu bauen. In der Debatte um einen Standort für ein Atommüll-Endlager bzw. die Errichtung eines Entsorgungszentrums spielt Gorleben 1973 offiziell keine Rolle.

1974 – Erste bundesweite Endlagersuche
Die Standortsuche für ein Atommülllager beginnt. Das Credo: So lange die Anlage genug Platz hatte und niemanden störte, war alles gut. Der Standort Gorleben hatte damit nichts zu tun.

1975 – Großer Waldbrand bei Trebel
Im August 1975 bricht bei Trebel ein großer Waldbrand aus. Die Bundesregierung geht bei der Standortsuche für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) davon aus, dass mehrere Salzstöcke parallel untersucht werden müssten. Gorleben gehört nicht dazu.

1976 – Der Standort „Gorleben“ taucht auf
(…) In einer zweiten Version der TÜV-Studie wurde handschriftlich der Standort Gorleben ergänzt und als am besten geeignet befunden. (…)

1977 – Das Jahr der Standortbenennung
Die Bedenken sind stark, doch Gorleben wird trotzdem zum Standort für den Bau eines gigantischen „Nuklearen Entsorgungszentrums“ benannt. Daraufhin finden erste Großdemonstrationen statt.

1978 – Ein Koffer voll Geld
Innerhalb von 5 Tagen sammeln Gorleben-Gegner*innen 800.000 DM, um der DWK beim Kauf weiterer Grundstücke über dem Salzstock Gorleben zuvor zukommen.

1979 – Treck nach Hannover – WAA „nicht durchsetzbar“
Im März 1979 findet der legendäre „Treck nach Hannover“ statt. Nach einer Großdemonstration in der Landeshauptstadt verkündet Niedersachsens Ministerpräsident Albrecht das Aus für die WAA-Pläne in Gorleben.

1980 – „Republik Freies Wendland“
Platzbesetzung der Bohrstelle Gorleben 1004 und Gründung der „Republik Freies Wendland“. Die Räumung nach vier Wochen wird zum größten Polizeieinsatz in der Geschichte der BRD.

1981 – Die Zweifel in Gorleben werden größer, nicht kleiner
Gorleben-Hearing in Lüchow zum Bau des Zwischenlagers und massiver Protest gegen das AKW Brokdorf. Nach Bohrungen werden die Zweifel an der Eignung des Salzstock Gorleben für ein Endlager „größer, nicht kleiner“. Doch Gegner*innen des Projekts seien „Schreihälse, die bald der Geschichte angehören“, meinen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Oppositionsführer Helmut Kohl.

1982 – „Tanz auf dem Vulkan“
Baubeginn des Zwischenlagers wird mit Aktionen im Grenzstreifen zur DDR beantwortet, militante Eskalation beim „Tanz auf dem Vulkan“ und immer schlechtere Bohrergebnisse. Plötzlich ist das Wendland mit Dragahn wieder als ein WAA-Standort im Gespräch.

1983 – Dragahn: Eine WAA wird verhindert
Proteste gegen die Pläne, in Dragahn eine WAA zu errichten. „Gorleben statt Kreta“ und Demos im Grenzgebiet zwischen der DDR und BRD. Das Bundeskabinett unter Helmut Kohl stimmt der „untertägigen Erkundung“ des Salzstocks Gorleben zu.

1984 – Menschenkette und Tag X
„Das Vertrauen hat sehr gelitten“: Menschenkette und Wendland-Blockade gegen die WAA-Pläne. Unter erheblichem Protest erreicht ein erster Atommülltransport das Fasslager Gorleben.

1985 – „Spudok“-Affäre, Probe-Castor und Kreuzweg
Ein erster leerer Probe-Castor erreicht das Wendland. Der erste Kreuzweg führt vom AKW Krümmel nach Gorleben. Nach Anschlägen auf die Bahn werden die Daten von tausenden Gorleben-Gegner*innen von der Polizei gespeichert – und damit eine ganze Szene pauschal kriminalisiert.

1986 – Baubeginn im Bergwerk, Wackersdorf & Tschernobyl
Baubeginn im Bergwerk Gorleben. Heftige Auseinandersetzungen um die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und das AKW Brokdorf. Nach dem GAU von Tschernobyl protestieren zehntausende Menschen gegen die Atomenergie.

1987 – 10 Jahre Protest in Gorleben
Schwerer Unfall in Schacht 1 des Bergwerks in Gorleben. „Transnuklearskandal“ betrifft auch Atommüll im Zwischenlager, Proteste gegen den Bau der PKA.

1988 – „Wir stellen uns quer!“
Kreuzweg der Schöpfung führt von Wackersdorf nach Gorleben, Schmiergeldskandal, „Wir stellen uns quer“ – Proteste gegen den ersten Probecastor ins Zwischenlager.
1989 – Castor-Alarm im Wendland
Das Aus für die WAA Wackersdorf, Castor-Alarm: erster Atommülltransport nach Gorleben wird wenige Stunden vor Abfahrt gerichtlich gestoppt.

1990 – PKA-Bauplatz- und Turmbesetzung
„Ein Hauch der Freien Republik Wendland wehte durch den Gorlebener Tann…“, als auf dem Bauplatz der PKA Hütten errichtet werden. Aktivist*innen besetzen im Sommer den Förderturm in Gorleben, zum Jahresende Baustopp und SPD-Versprechen.

1991 – Mol-Skandal & Baustopp
Proteste gegen die Anlieferung von Mol-Container, PKA-Bauplatzbesetzung, erneuter „Castor-Alarm“ und nächster Baustopp im Erkundungsbergwerk.
1992 – Viel Geld für den Landkreis
Resolution gegen und eine Mehrzweckhalle für Gorleben, Erweiterung des Zwischenlagers und viel Geld für den Landkreis.
1993 – CASTOR-HALLE-LUJA und Endlagerhearing
Sitzblockaden gegen Atommüll-Lieferungen, „Wege aus der Gorleben-Salzstock-Sackgasse“, Energiekonsens-Gespräche und hohes Bussgeld gegen Turmbesetzer*innen.
1994 – Pleiten, Pech und Pannen: „Castornix“
Widerstandscamp „Castornix“ und erhebliche Proteste gegen ersten Castortransport, der wegen technischer Mängel dann abgesagt wird. Weiterbau der PKA per Weisung.

1995 – Tag X, Backpulver & Stay rude-stay rebel
Anschläge auf Bahn & Kran, die Aktion „ausrangiert“ will den ersten Castor empfangen, Bundesumweltministerin Merkel macht den absurden Backpulver-Vergleich & der Baustopp im Bergwerk wird aufgehoben.
1996 – „Wir stellen uns quer!“
10 Jahre nach Tschernobyl, „Wir stellen uns quer!“ gegen den zweiten Castor nach Gorleben.

1997 – Stunkparade gegen Sixpack
Gewaltsame Räumung für den dritten Castor, Griefahn knickt ein & mehr Geld von der BLG.

1998 – Castor-Skandal und TagX4 in Ahaus
Einwendungen gegen die PKA, Castortransport nach Ahaus, Transportestopp nach verstrahlten Behältern, Einstieg in den Atomausstieg und Moratorium im Salzstock.

1999 – „Gerhard, wir kommen“ & X-tausendmal quer
„Flickschusterei“ um Atomausstieg & AkEnd, Stunkparade nach Berlin und die Ankündigung, dass sich beim nächsten Castor X-tausend Menschen querstellen werden.

2000 – Atomkonsens & Moratorium
Defekte Brücke und unsichere Behälter verhindern Castorlieferung, Atomkonsens „alles Lüge“, denn er sichert den Weiterbetrieb der AKW und Moratorium im Salzstock.

2001 – X-tausendmal quer & Widersetzen
Zwei Atommülltransporte rollen nach Gorleben, einer im März, ein zweiter im November. X-tausend Menschen stellen sich quer und WiderSetzen sich. Der Betonblock von Süschendorf zwingt den Castor zum Rückwärtsgang. Der Widerstand bekommt ein Archiv, die Bundestagsabgeordneten ein Denkmal, die „Gewissensruhe“.

2002 – Castor im „dreckigen Dutzend“
25 Jahre nach der Standortbenennung künftig keine Wasserwerfer mehr gegen den Widerstand, Freispruch im Süschendorf-Prozess, Ver-rück-te Dörfer gegen zwölf Castorbehälter, Rechenfehler und ein Abschlussbericht des AKEnd.

2003 – Der Castor kommt, wir sind schon da!
Betonklötze für Betonköpfe, „Fest zum Protest“, der Salzstock wird besetzt, der siebte Castor rollt. Atomausstieg: das AKW Stade geht vom Netz – aber die Endlagersuche bleibt weiter unklar.

2004 – Castor-Proteste nehmen dramatische Wendung
Schienensitzen ist keine Straftat, das Einkesseln rechtswidrig, Trash People in Gedelitz, eine Veränderungssperre für den Salzstock zemetiert dessen Sonderstellung. Der Castortransport im Herbst verändert alles: Sebastién wird überfahren und stirbt.

2005 – 10 Jahre Castor, Entsorgungsfrage weiter ungelöst
25 Jahre nach der „Republik Freies Wendland“ und 10 Jahre nach dem ersten Castortransport ist die Entsorgung des Atommülls weiter ungelöst. In die Debatte um die Entsorgung des Atommülls und die Zukunft der Atomenergie kommt Bewegung, die Veränderungssperre für den Salzstock wird verlängert. Container brennen, Bauern ziehen sich aus – und im November rollt der nächste Atommüllzug ins Zwischenlager.

2006 – Seit 30 Jahren Widerstand im Wendland
Geologe Grimmel warnt vor Erdbeben, die CDU kann sich in Gorleben ein Untertagelabor vorstellen. „Wir sind gekommen um zu bleiben“: Castorproteste im Herbst mit einer eigenen „Allgemeinverfügung gegen Atomwirtschaft und Polizeiwillkür“ und ein Offenbarungseid von Umweltminister Sigmar Gabriel.

2007 – Ein Jahr ohne Castor
Der Widerstand feiert 30 Jahre Protest, ein Probecastor im Sommer aber keine „heiße Fracht“ im Herbst, stattdessen Kinderkrebsstudie und G8-Gipfel in Heiligendamm.

2008 – Asse-2 säuft ab
Endlager-Symposium & Probebohrungen in Hamburg, absaufende Asse-2, 1 Millionen Jahre Endlager-Sicherheit und ein nächster Castortransport im November.

2009 – Treck nach Berlin
Brisante Enthüllungen: Gorleben wurde aus politischen Motiven zum Endlagerstandort. Seit Jahren wird nicht nur „erkundet“, sondern ein Endlager gebaurt. „Mal so richtig abschalten“ – ein Protest-Treck aus dem Wendland führt zu einer großen Demo gegen AKW-Laufzeitverlängerung nach Berlin. Kein Castortransport, seit Oktober finden jeden Sonntag Spaziergänge um das Bergwerk statt.