Gorleben ist raus.

Gorleben ist raus. So viel sollte erst einmal fest stehen. Oder doch nicht? Es schien, als sollte nach 43 Jahren, in denen der Salzstock Gorleben als einziger in Deutschland für ein Endlager untersucht wurde, Schluss sein und sich die Aufmerksamkeit auf Anderes, auf andere Standorte, auf ein anderes Auswahlverfahren, richten. Denn es wird die Glaubwürdigkeit des Verfahrens sein, die darüber entscheidet, ob ein Standort schließlich wenigstens hingenommen wird. Dazu gibt der Zwischenbericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) über die Teilgebiete und das Ende für Gorleben Hinweise. Wer wissen will, warum in Gorleben Schuss sein soll, kann es nachlesen. Verwunderlich ist allenfalls, dass die Entscheidung so früh im Verfahren fiel. Doch schon gibt es wieder die altbekannten Stimmen, aus Bayern und der FDP, die mit der Kritik am Aus für Gorleben gleich das gesamte Verfahren denunzieren. Wobei die FDP einfach mal ihren eigenen Kreisverband Lüchow-Dannenberg fragen könnte, um besser informiert zu sein.

Auf der Internetseite der BGE ist in einem gesonderten Kapitel der Entscheidungsprozess in Sachen Gorleben aufgeführt. Danach fiel der Standort erst in der dritten Stufe des ersten Schritts bei der Auswahl von Standorten aus dem Verfahren heraus. Die beiden ersten überstand er. Da wären als erstes die Ausschlusskriterien. Überall da, wo es Erdbeben oder vulkanische Tätigkeiten geben könnte, würde man kein atomares Endlager anlegen können. Ausgeschlossen wäre dies auch dort, wo es unter unseren Füßen „Störungszonen“, also Brüche im Gestein, gibt oder wo sich die Gesteinsschichten großräumig bewegen.

Das alles ist in Gorleben nach Ansicht der Geologen nicht der Fall, weshalb der Salzstock diese Anforderungen erfüllen würde. Auch die nächste Hürde würde er nehmen, die Minimalanforderungen an die Gesteinsformation. Da wäre die Mächtigkeit, die mindestens hundert Meter betragen müsste, oder ein Abstand zur Geländeoberfläche von mindestens 300 Metern. Außerdem müsste das Gestein im Inneren ausreichend kompakt sein. „Es dürfen keine Erkenntnisse vorliegen, welche die Integrität des einschlusswirksamen Gesteinsbereichs … zweifelhaft erscheinen lasse,“ heißt es in diesem Katalog der Minimalanforderungen. Auch das wäre in Gorleben erfüllt, meint das BGE. Schon gegen diese Feststellung ließen sich Erkenntnisse ins Feld führen. Schließlich musste der Teil des Salzstockes, in dem man überhaupt Untersuchungen anstellen wollte, im Laufe der Jahre heftig verändert, verkleinert werden, um ungestörte Strecken zu finden.

Entscheidend für die BGE war dann der dritte Schritt der ersten Stufe des neuen Auswalverfahrens, die Abwägung von geologischen Kriterien. Abwägung heißt, man könnte auch zu anderen Entscheidungen kommen, je nach der Interpretation der Fakten. Eins aber ist nicht zu verändern, die Kenntnisse über das brüchige und in großen Teilen nicht mehr vorhandene Deckgebirge, das den Salzstock gegen wasserführende Schichten absichern soll. Der Salzstock könnte im Laufe der Jahre abgelaugt werden. Das muss den Standort nicht von vornherein ausschließlichen. Schließlich käme es auf die Dicke des Salzstocks und den Umfang des Wasserkontakts an. Vielleicht wäre in einer Million Jahre noch genügend Salz um den „einschlusswirksamen Bereich“ vorhanden. So jedenfalls veränderte sich im Laufe der Jahre die Argumentation derer, die das Endlager unbedingt in Gorleben haben wollten. Erst galt ein sicherer Abschluss gegen grundwasserführende Schichten als unbedingt erforderlich, dann wurde diese Position immer weiter relativiert. Für die Glaubwürdigkeit des Verfahrens in Gorleben war das einer der Sargnägel.

Was hat man nicht alles versucht, um die Erkenntnis des bereits heute vorhandenen Grundwasserkontakts des Salzes aus der öffntlichen Diskussion heraus zu halten. Damals, 1982, wurde Professor Duphorn, der den Umfang dieser Störungen über dem Salz nachdrücklich öffentlich machte, aus dem Verfahren gemobbt. Später wurden die Kenntnisse über die inzwischen legendäre Gorlebener Rinne, eine tiefe Kerbe, die sich längs über den Salzstock zieht, als altbekannt, aber irrelevant dargestellt. Eine auch in anderen Fällen in Sachen Gorleben genutzte Variante. Erst komlett leugnen, wenn das nicht mehr funktioniert, etwas als länst bekannt und olle Kamellen abzutun. Die Physikalisch-technische Bundesanstalt (PTB) musste 1983 ihren Abschlussbericht zur obertägigen Erkundung mehrfach umschreiben. Sie hatte unter Verweis auf negative Erkenntnisse durch die Bohrungen empfohlen, mehrere andere Salzstöcke alternativ zu erkunden. Was übrigens schon längst Stand der Technik gewesen wäre, der Verlgich mehrer Standorte. Bevor Ernst Alberecht mit dem Finger auf Gorleben zeigte, und nur auf Gorleben, war noch im September 1976 bei einer Runde in den Räumen der RWE klar, das man mehrere Standorte zumindest mittels mehrerer Tiefbohrungen erkunden müsste, um zu einer Bewertung kommen zu können. Ein zweiter Grund, weshalb das Verfahren für Gorleben eigentlich schon längst hätte gestorben sein müssen. Auf Druck aus dem Bundeskanzleramt verwässerte die PTB ihre Empfehlung zu einer alternativen Erkundung so, dass die Politik weiter an Gorleben als einzigem Standort festhalten konnte.

Diese Erkenntnisse sind alle nicht neu. Aber jetzt ist es amtlich: das Deckgebirge schließt den Salzstock Gorleben nicht ausreichend gegen Wasser ab. Und schon gibt es Zweifel an der Absage an Gorleben. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder äußerte Unverständnis. Wieso hat man Gorleben so lange untersucht und viel Geld dafür ausgeben, wenn es doch schon im ersten Auswahlschritt als ungenügend beschrieben wird? Gleiches ist von Seiten der FDP zu lesen. Gorleben sei schließlich der am besten erkundete Salzstock, meint der ehemalige niedersächsische FDP-Umweltminister. Die Antwort auf ihre Einwände ist einfach, und sie kennen sie. Sie lautet: Entsorgungsnachweis. Die Erkundungsarbeiten in Gorleben waren nötig, damit der Betrieb von Atomkraftwerken genehmigt werden konnte. So hatte es 1974 ein FDP-Bundesinnenminister festgelegt. Der sichere Verbleib der radioaktiven Abfälle musste belegt werden, damit es eine Genehmigung für weitere AKWs geben könnte, schrieb er. Damit es keine Stockung im atomaren Ausbauprogramm der sozialliberalen Koalition geben müsste, würde es ausreichen, dass eine Aussicht besteht, in absehbarer Zeit einen solchen sicheren Verbleib nachweisen zu können. Ohne diese Aussichten hätte es keine Betriebsgenehmigungen für AKWs, auch die bayerischen, geben dürfen.

Die Arbeiten selbst waren die Lösung des Entsorgungsproblems, nicht der Salzstock, in dem gearbeitet wurde. Der musste nur ausreichend sein, ihn öffentlich als „eignungshöffig“ darstellen zu können, ein Begriff, der jede negative Erkenntnis in eine vernachlässigbare Größe umdeutete. Nach zwanzig Jahren wurde dieser enge, an ein in Aussicht stehendes Endlager, gekoppelte „Entsorgungsnachweis“ gelockert und auch die Zwischenlagerung als ein solcher Nachweis akzeptiert. Daraufhin gab es schon einmal einen Anlauf, die Ssuche nach einem Endlager neu zu starten, Mitte der neunziger Jahre. CDU-Umweltminsiter Töpfer ließ eine neue Standortstudie erstellen mit dem Ergebnis, dass Gorleben auszusortieren wäre, wenn die Kriterien dieser Studie auch für Gorleben gelten sollten. Das aber hatte man vorher als nicht in Frage stehend ausgenommen. Selbst ausdauernde Befürworter des Gorlebener Salzes erklärten damals, die Einigung der Bundestagsparteien über eine neue Endlagersuche stünde kurz bevor. Doch der Anlauf scheiterte, weil Gorleben unbedingt weiter im Spiel bleiben sollte. Daraus wurden weitere zwanzig Jahre dieses Standortes.

Dabei gab es schon lange in der Vergangenheit einen Zeitpunkt, an dem das Verfahren in Sachen Gorleben hätte beendet werden müssen. Das war 1979, als Ministerpräsident Albrecht das Aus für die Wideraufarbeitung in Gorleben verküdnete, aber am Endlager festhielt. Denn die Auswahl, wenn man das denn so nennen will, fiel auf Gorleben als Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ). Das aber umfasste neben Endlager auch ein oberirdisches Zwischenlager, eine Brennelementefertigung und eine Wiederaufarbeitungsanlage, mehrfach größer als La Hague in Frankreich. Die in dem „Auswahlverfahren“ angeführten Kritierien bezogen sich weit überwiegend auf die Gefährdung, die von diesen obertägigen Anlagen ausgehen könnte, durch Abluft im Regelbetrieb etwa. Deshalb war die Zahl der Kühe wichtig, deren Milch kontaminiert sein könnte. Die Kriterien, die sich auf die Geologie eines möglichen Endlagers bezogen, machten gerade etwas mehr als zwölf Prozent aus. Bei der Auswahl ausschließlich eines Endlagerstandortes hätte es eine völlig andere Gewichtung geben müssen. Als Albrecht also die WAA-Pläne beendete, hätte es schon damals ein neues Verfahren mit veränderten Kriterien geben müssen. Die Kritiker der heutigen Absage an Gorleben hätten ausreichend Gelegenheit, ihr kritisches Bewusstsein am Verfahren um Gorleben zu schärfen.

Karl-Friedrich Kassel

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